Sektionsredner
Doreen Zander (Erfurt) - Curriculum Vitae
Die Bestimmung der Furcht nach Martin Heidegger und ihre Neuformulierung unter dem Gesichtspunkt der Phänomenologie Hermann Schmitz'
Abstract
Thema des Vortrags ist Heideggers Furcht-Analyse, die ich anhand von Hermann Schmitz‘ Konzeption des Gefühlsraums neu aufnehmen möchte. Damit soll erreicht werden, dass Heidegger nicht mehr nur historisch gelesen wird, sondern dass im Gegenteil seine Befindlichkeitsdarstellungen als ein Vorschlag zur Neuorientierung, vor allem in der psychologischen Praxis, verstanden werden. Denn obwohl die Phänomenologie Heideggers keinen Beitrag leistet in der aktuellen Philosophie des Geistes, geben seine Ausführungen dennoch Aufschluss über das Auftreten, den Gegenstand und die Art und Weise der Emotionen. Deutlich macht er dies am Beispiel der Furcht.
Die Furcht wird von Heidegger unter drei Aspekten untersucht. Erstens fürchtet sich der Mensch vor dem Furchtbaren, das die Quelle der Bedrohung ist. Als etwas Abträgliches drängt sich das Furchtbare in die Nähe des betroffenen Menschen, wobei er die Möglichkeit des Eintreffens des Übels nicht einschätzen kann. Zweitens betrachtet Heidegger das Fürchten, indem er es als die Freigabe des Bedrohlichen beschreibt. Das Fürchten deckt das Bedrohliche erst in seinen nahenden Möglichkeiten auf. Schließlich beschreibt Heidegger, wie der Mensch um sein eigenes Dasein fürchtet. Indem der Mensch sich gefährdet wähnt, ist er besorgt um sein Leben in der Welt, das er durch das Furchtbare bedroht sieht.
Hermann Schmitz erläutert seine anthropologischen Ansätze zur Phänomenologie im Ausgang vom Leib. Im Zusammenhang mit seinen Vorstellungen von Raum und Zeit entwickelt er das Konzept eines Gefühlsraumes, der durch weitere Konzeptionen, wie Weite, Enge, Fülle und Leere, mehrfach untergliedert wird. Auch die Furcht lässt sich in Schmitz Theorie einordnen, und zwar durch folgenden Gedanken.
Schmitz zufolge sind Gefühle stets räumlich ausgedehnt als „Atmosphären“ (Schmitz, Der unerschöpfliche Gegenstand, 2007, S. 292ff.) in einem Weite- und einem Richtungsraum, der sich am Leib ausrichtet. Dieser ist das, was wir als körperliche Wesen von uns selbst spüren, wenn wir uns betroffen fühlen. So sind Gefühle typische Leibphänomene, die sich im leiblichen Raum eines Menschen ausdehnen. Als Atmosphären bezeichnen sie das, was wir nicht bloß körperlich an uns wahrnehmen. Weite Gefühle sind für Schmitz einerseits die Stimmungen, von denen mindestens die reinen nicht gerichtet sind, und andererseits Erregungen, die eine Richtung aufweisen. Statt Gefühle typischerweise nach ihrer Intentionalität hin zu untersuchen, konzentriert sich Schmitz auf ihre Verdichtungs- und Verankerungsbereiche. Erregungen erhalten zudem eine Struktur, indem sie ein- oder allseitig gerichtet sein können. So redet Schmitz von einer gehobenen Erregung wie der Freude oder einer gedrückten Stimmung wie der Trauer. Die zentripetale Bangnis kann sich zum Beispiel zur Furcht zusammenziehen und durch Spiegelung wieder auf den Betroffenen zurückgeworfen werden, was Schmitz dann als das „Ahnungsvolle“ (Ebd., S. 300) beschreibt. Eine zentrierte Erregung wäre dementsprechend das Grauen, das sich zur Furcht verdichten kann, wenn der Verankerungspunkt, die Gefahr, erreicht ist. Ein Gefühl geht uns an, indem es unseren Leib erregt, wobei das Ergriffensein selbst das gefühlsmäßige Betroffensein des Affektes ist, der sich wie ein Sog oder ein Zug anfühlt. Im Gefühlsraum breiten sich also Gefühle als Atmosphären aus mit dem Leib als absolutem Ort in ihrer Mitte.
Heidegger wie Schmitz betrachten die Furcht zunächst als etwas, das den ganzen Menschen betrifft, und reduzieren es somit nicht auf etwa ein evaluatives Urteil oder gar eine besondere Hirnaktivität. Schmitz‘ Verdichtungsraum findet sich bei Heidegger in Form des herannahenden Übels wieder, das sich anmeldet und dadurch selbst furchtbar wird. Auch bei Heidegger ist der Verankerungspunkt erreicht, wenn sich der Betroffene der Gefahr bewusst wird, sich also von ihr angehen lässt. Bei beiden Phänomenologen ist die Furcht unter anderem mit einem kognitiven Prozess verbunden, weil ihr erst ein bestimmtes Urteil, eine Meinung vorausgehen muss. So fürchte ich mich etwa nicht vor dem nahenden Zahnarztbesuch, wenn ich weiß, dass ich nicht behandelt werden muss. Furcht ist also nicht generell etwas, das ‚uns angeht‘, d. h. eine Empfindung, die uns nur passiert. Das tut vielmehr das Furchtbare oder Furchterregende, nicht die Furcht selbst. Da sich Heideggers Beschreibungen ebenfalls auf den ganzen Menschen und seine Befindlichkeit beim Fürchten beziehen, legt auch er bei seinen Überlegungen einen Leib, keinen bloßen Körper zugrunde. Hermann wie Schmitz verkennen dennoch nicht den Einfluss der somatischen Symptome der Furcht, die sie sogar für dieses Gefühl für konstitutiv halten. Diese Annahme beruht aber darauf, dass es einen Leib ohne einen Körper gar nicht geben könnte. Somit ist der Körper eine notwendige Bedingung für das Fühlen und Zustandekommen der Furcht, die sich aber nicht in einem seiner Zustände erschöpft.
Curriculum Vitae von Doreen Zander
- Bis 2006: Philosophie, Literaturwissenschaft, z. Zt. Philosophie MA (Universität Erfurt). Abschluss: BA
- Erfurt