Sektionsredner
Professor Dr. Sven Walter (Osnabrück) - Curriculum Vitae
Was hat die Kognitionswissenschaft (Sinnvolles) zum Thema Willensfreiheit zu sagen?
Abstract
Die Auseinandersetzung mit dem Problem der Willensfreiheit wurde jüngst über die Grenzen der akademischen Welt hinaus in Feuilletons und TV-Sendungen getragen. Das nach draußen kolportierte Bild ist dabei ebenso klar wie falsch.
Die Naturwissenschaften, so wird suggeriert, allen voran die Kognitionswissenschaften, haben gezeigt, dass der freie Wille nur eine Illusion und wir in Wahrheit die Marionetten unserer Gehirne sind. Es ist, so etwa Wolfgang Prinz, ein Irrglaube, dass wir tun, was wir wollen; vielmehr wollen wir, was wir tun – das Gehirn veranlasst uns zu einer Handlung, die wir uns im Nachhinein ‚zurechtrationalisieren’ und schließen, dass wir sie wohl bereits im Vorfeld gewollt haben müssen. Neben Prinz fallen in diesem Zusammenhang immer wieder die Namen des Frankfurter Neurowissenschaftlers Wolf Singer oder des Bremer Biologen Gerhard Roth. Philosophen wie Ansgar Beckermann, Peter Bieri oder Julian Nida-Rümelin halten dem entgegen, der kognitionswissenschaftliche Angriff auf unsere Freiheit arbeite mit einem antiquierten, falschen und von der Philosophie schon seit langem als zu stark entlarvten Freiheitsbegriff, und würde obsolet, sobald man den philosophischen Kompatibilismus zu würdigen beginne, wonach die neuronale Determiniertheit unserer Handlungen ihrer (und mithin unserer) Freiheit überhaupt nicht im Wege stehen kann, weil freie Handlungen nicht solche sind, die überhaupt nicht determiniert sind, sondern solche, die auf die richtige Weise determiniert sind.
Dem Beobachter drängt sich recht schnell der Eindruck auf, die Aufgabe der Philosophie sei es lediglich, einen vernünftigen kompatibilistischen Freiheitsbegriff auszubuchstabieren und dann darauf zu verweisen, dass man, sobald man seine philosophischen Hausaufgaben gemacht hat, von den Kognitionswissenschaften ganz offensichtlich nichts mehr zu befürchten hat. Kognitionswissenschaftler werden in die Rolle philosophischer Ignoranten gedrängt, deren vermeintlich revolutionären Befunde bestenfalls so lange halten, wie man einem veralteten philosophischen Freiheitsbegriff anhängt.
Dies ist jedoch ebenso falsch wie der von der anderen Seite vermittelte Eindruck, unsere Unfreiheit sei aufgrund der üblicherweise diskutierten empirischen Befunde bereits ausgemachte Sache. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte, und das Ziel meines Beitrags ist zu klären, wo.
Die typischen Befunde sind als Argument gegen Freiheit vollkommen unzureichend. Erstens sind sie keineswegs so tragfähig, wie es von den Gegnern der Willensfreiheit gerne propagiert wird. Dies gilt bekanntermaßen für die berühmten Libet Experimente, aber auch für die Experiment des Harvarder Psychologen Daniel Wegner, die vermeintlich zeigen, dass Probanden zu Handlungen veranlasst werden können, von denen sie hinterher behaupten, sie hätten sie gewollt, bzw. dazu veranlasst werden können, sich Handlungen zuzuschreiben, die überhaupt nicht sie, sondern andere vollzogen haben. Auch hier zeigt sich recht schnell, dass die radikalen Thesen experimentell nicht gestützt werden können. Es stimmt ganz einfach nicht, dass man „Versuchspersonen unterschwellig … durch experimentelle Tricks, Hypnose oder Hirnstimulation zu Handlungen veranlassen [kann], von denen sie später behaupten, sie hätten sie gewollt“ (Roth, Information Philosophie 5/2004, S. 15). Zudem gilt wie oben erwähnt nach wie vor das, worauf Philosophen wie Beckermann, Bieri, Pauen und Nida-Rümelin immer wieder hinweisen: dass sich jeder Versuch, unsere Willensfreiheit durch den Nachweis unserer neuronalen Determiniertheit in Frage zu stellen, dem Vorwurf ausgesetzt sieht, mit kompatibilistischen Freiheitstheorien völlig verträglich zu sein. Damit wäre geklärt, was die Kognitionswissenschaft zur Willensfreiheitsdebatte nicht beitragen kann.
Allerdings ist damit keineswegs erwiesen, dass der Kompatibilismus von den Kognitionswissenschaften überhaupt nichts zu befürchten hat. Die Befunde der Neurowissenschaften mögen aus den genannten Gründen vernachlässigenswert sein, nicht aber Untersuchungen in den empirischen Sozialwissenschaften, die den Schluss nahe legen, dass wir uns öfter als wir glauben der Motive, die uns dazu bringen, etwas zu tun, nicht bewusst sind. Diese Untersuchungen haben bislang erstaunlich wenig Beachtung gefunden, obwohl ihre Relevanz auf der Hand liegt: von jemandem, der sich der eigentlichen Gründe seines Tuns nicht bewusst ist, wird man schwerlich sagen können, er habe aus freien Stücken und einer freien Entscheidung heraus gehandelt – und zwar auch nicht als Kompatibilist. Wenn sich also zeigen lässt, dass Freiheit voraussetzt, dass wir uns der eigentlichen Gründe für unser Tun bewusst sind, und dass die empirische Sozialpsychologie tatsächlich unsere Überzeugung untergraben kann, dass dies oftmals der Fall ist, dann kann die Kognitionswissenschaft in der Tat etwas zur Frage nach unserer Freiheit beitragen, das nicht durch den bl0ßen Verweis auf den Kompatibilismus als irrelevant abgetan werden kann.
Curriculum Vitae von Professor Dr. Sven Walter
- Bis 2000: Philosophie, Logik und Grundlagenforschung, Niederlandistik (Bonn, Columbus (Ohio), Saarbrücken). Abschluss: MA
- 2005: Physicalism and Mental Causation: An Argument for Epiphenomenalism (Universität Saarbrücken)
- Universität Osnabrück
- Philosophie des Geistes
- Evolutionäre Anthropologie
- 2005 - 2007: wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Bielfeld
- 2007 - jetzt: Heyne Juniorprofessor für Philosophie des Geistes, Universität Osnabrück
- Mentale Verursachung (Paderborn: mentis, 2006)
- Phenomenal Concepts and Phenomenal Knowledge (Oxford: Oxford University Press, zusammen mit Torin Alter)
- Oxford Handbook of the Philosophy of Mind (Oxford: Oxford University Press, zusammen mit Brian McLaughlin, Ansgar Beckermann)