Kontakt: Universität Duisburg-Essen, Institut für Philosophie, Stichwort: Kongress 2008, Universitätsstr. 12, 45117 Essen - Tel.: 0201/183-3486, E-Mail: infodgphil2008.de
Sektionsredner

Eine Auflistung der Sektionsredner finden Sie in alphabetischer Sortierung unter nachfolgendem Link


Verzeichnis der Sektionsredner

Download Programm

Unter folgendem Link können Sie sich das Gesamtprogramm als PDF (1 MB) herunterladen: Download PDF.

Kontakt

Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

Institut für Philosophie
Stichwort: Kongress 2008
Universität Duisburg-Essen
Universitätsstr. 12
45117 Essen

Häufig gestellte Fragen

Sollten Sie Fragen haben, schicken Sie eine E-Mail an info dgphil2008.de. Möglicherweise finden Sie auch bei den häufig gestellten Fragen eine Antwort.


FAQ

Sektionsredner

Ivo Wallimann, M.A. (Zürich, CH)
Warum faire Chancengleichheit?

Abstract

Rawls erste Formulierung des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes lässt vier Interpretationen zu, weil die Ausdrücke „zu jedermanns Vorteil“ und „jedem offenstehend“ unterbestimmt sind. Der erste Ausdruck muss nach Rawls als Unterschiedsprinzip interpretiert werden, weil sich dadurch die Unbestimmtheit des Pareto-Prinzips beseitigen lasse. Der zweite Ausdruck muss für faire Chancengleichheit stehen, da nur mit diesem unverdiente, soziale Nachteile ausgleichbar seien. Gegen das Prinzip der Chancengleichheit wurde seit je her Kritik geäussert. Dieser Kritik im Rahmen der Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie zu begegnen, ist das Ziel dieses Vortrags.

Es wird behauptet, Chancengleichheit sei nicht verwirklichbar, weil damit a) unverhältnismässige Ansprüche an den Ausgleich von sozialen und natürlichen Ungleichheiten stelle. (Hayek) Zudem vergrössere Chancengleichheit Ungleichheiten, weil ihre Durchsetzung b) zu immer grösseren Ungleichverteilungen führe. (Schaar) Im Weiteren wird behauptet, dass Chancengleichheit c) nicht mehr impliziere, als mit der Forderung nach Vermeidung von Diskriminierung gemeint sei. (Cavanagh, Westen) Zu guter Letzt wird faire Chancengleichheit eines inneren Widerspruchs bezichtigt, weil sie d) zwei sich widersprechende Prinzipien beinhalte. (Richards) Es lässt sich aber zeigen, dass diese Kritik unberechtigt ist, weil damit entweder ein zu simples Konzept von Chancengleichheit angegriffen wird oder Chancengleichheit eine falsche Funktion in der Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie zugewiesen wird.

Faire Chancengleichheit muss zuerst zu formaler Chancengleichheit korrekt in Beziehung gesetzt werden. Mit formaler Chancengleichheit sind einzig nichtdiskriminierende Verfahren für die Vergabe von Ämtern und Positionen gefordert, ohne aber unverdiente Ungleichverteilungen von sozialen Umständen auszugleichen. Faire Chancengleichheit leistet genau dies, setzt aber formale Chancengleichheit voraus, da die Befähigung zu bestimmten Ämtern und Positionen ohne Garantie nicht diskriminierender Verfahren wertlos ist. Aus diesem Grund muss faire Chancengleichheit als Kombination zweier Prinzipien aufgefasst werden: Dem Prinzip der Schaffung einer gleichen Ausgangslage und dem Prinzip der Nicht-Diskriminierung. Während ersteres festlegt, unter welchen Umständen alle unverdienten, sozialen Ungleichheiten negiert sind, legt letzteres fest, welche Vergabeverfahren für Ämter und Positionen legitim sind. Dies lässt sich in Analogie zu einem umfassenden Freiheitsverständnis rechtfertigen, das sowohl positive als auch negative Freiheit umfasst. (McCallum, Feinberg, Koller)

Gegen obige Einwände kann faire Chancengleichheit aber nur verteidigt werden, wenn seine Funktion in Rawls Gerechtigkeitstheorie geklärt ist. Faire Chancengleichheit regelt einzig die faire Ungleichverteilung von Ämtern und Positionen. Diese ist fair unter der Voraussetzung, dass alle unter bestmöglichen sozialen Umständen ihre natürlichen Talente entwickeln können. Ungleiche Startbedingungen im Wettbewerb um Ämter und Positionen sind deshalb nur gerechtfertigt, wenn sie einer schlechter gestellten Person als selbstverschuldet angelastet und sofern Nachteile mit mangelnden natürlichen Talenten begründet werden können. Gleichzeitig ist eine Ungleichverteilung von Ämtern und Position nur dann fair, wenn formale Chancengleichheit sichergestellt ist. Dies kann aber je nach Bewerbungssituation zu unvorhergesehenen Resultaten führen. Chancengleichheit sichert deswegen weder gleiche, im Sinne identischer Ausgangslagen noch garantiert Chancengleichheit eine bestimmte Verteilung von Vorteilen. Vielmehr hat Chancengleichheit die Funktion, einen kompetitiven Standard festzulegen, der einen fairen Wettkampf um Ämter und Positionen sicherstellt. (Lloyd Thomas, Green)

Mit diesen Voraussetzungen ist es nun zu zeigen möglich, dass Chancengleichheit verwirklicht werden kann, weil keine gleichen, im Sinne identischer Ausgangslagen gefordert werden a). Chancengleichheit zieht notwendigerweise Ungleichverteilungen nach sich, weil dies die Funktion des Prinzips in Rawls Theorie der Gerechtigkeit ist b). Ausgleichend wirkt einzig das Unterschiedsprinzip bzw. die Forderung, dass Ungleichheiten zu jedermanns Vorteil dienen sollen. Ebenso wird ersichtlich, dass Chancengleichheit nicht auf das Nicht-Diskriminierungsgebot reduziert werden kann, da sonst der Ausgleich unverdienter sozialer Nachteile nicht sichergestellt wäre c). Der Einwand, dass faire Chancengleichheit zwei widersprüchliche Prinzipien impliziert, erweist sich als unbegründet, weil faire Chancengleichheit formale Chancengleichheit voraussetzt d). Faire Chancengleichheit lässt sich also im Rahmen des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes gegen alle Einwände verteidigen. Es zeigt sich, dass die Einwände a), c) und d) auf einem zu simplen Verständnis von Chancengleichheit basieren, während der Einwand b) - in der Rawls’schen Gerechtigkeitstheorie - Chancengleichheit eine falsche Funktion zuweist.

  • nach oben
  • zum Kalender