Sektionsredner
Dr. Katja Wagner-Westerhausen (Aachen) - Curriculum Vitae
Biomedizinische Ethik ohne Person – Alternativen in der Embryonendebatte
Abstract
Fragestellung: Der Beitrag widmet sich der Kontroverse um den Personbegriff als Bewertungsgrundlage bioethischer Konfliktfälle. Innerhalb der Diskussion um den moralischen Status menschlicher Embryonen stellt das philosophische Personenverständnis den Hintergrund. Zugleich bilden die unüberbrückbaren Differenzen bei der Interpretation des Personbegriffs aus Sicht der unterschiedlichen Ethiksysteme den Grund dafür, dass angesichts der hitzig geführten Debatten kein Konsens gefunden werden kann. Die Wertepluralität spiegelt sich nicht zuletzt in der uneinheitlichen – und damit unbefriedigenden – deutschen Rechtslage wider. Insofern besteht eine besondere Dringlichkeit, die bioethische Debatte um den moralischen Status menschlicher Embryonen nach dem vorläufigen Scheitern des Personbegriffs intern aufzubrechen. Im Rahmen des Beitrags lege ich dar, dass eine Distanzierung vom Personbegriff in der bioethischen Debatte für eine konsensorientierte Auseinandersetzung notwendig ist. Im Mittelpunkt stehen dabei Argumenttypen, die nicht unmittelbar bei Statusfragen ansetzen – Stichworte sind hier "Gattungssolidarität", "Normschutzinteresse", "kulturelle Normen" und „relationaler Ansatz“, aber auch die genaue Analyse gradualistischer Ansätze.
Der Punkt, an dem meine Kritik an der Debatte ansetzt, ist das Junktim zwischen dem (vollen) moralischen Status auf der einen Seite, der mit dem Personstatus gleichgesetzt wird, und kategorischen Schutzrechten auf der anderen Seite. Alle Diskussionsteilnehmer setzen voraus, dass es so etwas wie ein „Recht auf Leben“ gibt, und dieses Recht nur Personen zukommt. Es ist aber zweifelhaft, ob es tatsächlich ein „Recht auf Leben“ im starken Sinne gibt, und die Zuschreibung moralischer Rechte kann m.E. nicht nur an den Personbegriff gebunden werden. Stattdessen entscheidet der Personstatus gerade nicht unmittelbar über den moralischen Status und besitzt damit für die Bioethik nur geringe Relevanz. Selbst für den Fall, dass die Personalität von Embryonen unstrittig wäre, könnte daraus nicht direkt abgeleitet werden, dass man angesichts der offensichtlichen Asymmetrie zwischen Embryonen und erwachsenen lebenden Menschen beide moralisch gleich behandeln soll. Hinzu kommt der grundsätzliche Zweifel, ob es so etwas wie „den moralischen Status“ überhaupt gibt. Anstatt die bestehenden Fragen zu lösen, wirft die Suche nach dem moralischen Status des Embryos weitere Probleme auf.
Ergebnisse: Anstelle der aussichtslosen Statusdiskussion auf Grundlage kryptonormativer Prämissen müssen die sich bietenden Konsense auf der Anwendungsebene nutzbar gemacht werden. Die Prinzipien Gattungssolidarität, Normschutzinteresse und kulturelle Normen sind gute ethische Gründe, Embryonen auch ohne die Notwendigkeit der Zuschreibung subjektiver kategorischer Rechte einen Schutzstatus zuzusprechen. Die Anwendung einzelner oder aller Prinzipien ist mit der Ablehnung von Statusargumenten vereinbar. Alle drei Prinzipien verzichten auf metaphysische Prämissen und bieten eine Minimalerklärung für die Schutzwürdigkeit des Embryos auf Basis einer Verständigung über die Bedingungen menschlichen Lebens. Leitendes Prinzip sollte dabei der Gesamtzusammenhang aus intrinsischer Schutzwürdigkeit, Beziehungskonstellation, Nutzungsmöglichkeit und der Konsistenz und Kohärenz im Gesamtsystem sein. Bestehende Grundkonvergenzen lassen sich für ein alternatives Konzept jenseits einer Alles-oder-Nichts-Debatte fruchtbar machen. Der ontologische Status rückt gegenüber der Handlungsbewertung und einer genauen Analyse des Handlungskontextes in den Hintergrund. Art und Umfang des Schutzes frühesten menschlichen Lebens können auf die vorgeschlagene Weise in differenzierter Weise abgestuft und in Relation zu einer Abwägung zwischen den moralisch bedenklichen Aspekten und dem moralischen Gewinn einer Technik gestellt werden. Der stärkste Schutz geht innerhalb der untersuchten Prinzipien von der Gattungssolidarität aus, die zugleich aufgrund ihrer hochgradigen Vagheit keine echte Alternative darstellt. Auf der anderen Seite weisen kulturelle Normen bedingt durch ihre Kulturrelativität Embryonen den geringsten Schutzstatus zu, sind aber zugleich das überzeugendste Prinzip. Das Prinzip des Gefühlsschutzes zeigt, dass sich ein restriktiver Umgang mit den Frühformen menschlichen Lebens derzeit in Deutschland rechtfertigen lässt und stellt insofern eine praxisnahe und zugleich philosophisch fundierte Antwort auf die Diskussion dar.
Curriculum Vitae von Dr. Katja Wagner-Westerhausen
- Bis 2003: Philosophie / Kunst (Duisburg-Essen). Abschluss: 1. Staatsexamen
- 2007: Die Statusfrage in der Bioethik (Düsseldorf)
- RWTH Aachen
- (Angewandte) Ethik
- Philosophie der Person
- Didaktik der Philosophie
- 2003 - 2006: wissenschaftliche Hilfskraft
- 2006 - 2007: Stipendiatin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- 2007: wissenschaftliche Mitarbeiterin RWTH Aachen
- "Gradualistische Konzepte und Alternativen in der Embryonendebatte." In: Ethik in der Medizin, Springer 2007
- "Die Statusfrage in der Bioethik.", Lit-Verlag, i.E.