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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Friedrich von Petersdorff, M.A. (Fronhausen)
Geschichte: Objektivitätsanspruch der Forschung und Authentizität der Erinnerung

Abstract

Der Historiker Jacques Le Goff fragt nach der Art der Beziehung "zwischen der gelebten Geschichte, der 'natürlichen', wenn nicht 'objektiven' Geschichte der menschlichen Gesellschaften und dem wissenschaftlichen Bestreben, diese Entwicklung zu beschreiben, zu denken und zu erklären: der Geschichtswissenschaft" (Geschichte und Gedächtnis, 1999, 16). Es handelt sich dabei um die Frage, wie sich - im Hinblick auf Erkenntnis und Beurteilung historischer Ereignisse - persönliche Wahrnehmungen geschichtlicher Begebenheiten (aufgrund eigener Erfahrung) einerseits und wissenschaftliche Ergebnisse historischer Forschung andererseits zueinander verhalten. Ist es nicht naheliegend, den Erzählungen und Erinnerungen noch lebender Zeitzeugen - aufgrund der Authentizität ihrer Berichte - zuzugestehen, dass diese Darstellungen der historischen Wahrheit näher kommen als die Forschungsergebnisse der Historiker der nächsten, nachgeborenen Generation? Das geschichtswissenschaftliche Gegenargument hierzu lautet, dass die Historiker durch ein methodisch durchdachtes Vorgehen durchaus imstande sind, persönliche Erinnerung angemessen zu betrachten, zu bewerten und als überprüfbares historisches Wissen darzustellen. Denn "der Erinnerung einseitig den Vorzug zu geben hieße, in den unbeherrschbaren Strom der Zeit einzutauchen" (12).

Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive sprechen folgende Argumente für eine Priorität historischer Forschung gegenüber subjektiver Erinnerung: 1) fortwährende Überprüfung und Verfeinerung der methodischen Ansätze, 2) fortgesetzte Diskussion der Forschungsergebnisse als Bestandteil des Wissenschaftsprozesses, sowie 3) sachliche Betrachtung und Erörterung jeglichen historischen Ereignisses unabhängig von der jeweiligen räumlichen oder zeitlichen Distanz. Demzufolge ist offensichtlich, dass sich der historische Forschungsbetrieb um Objektivität bemüht. Also ist den Erkenntnissen historischer Forschung Priorität gegenüber der Subjektivität persönlicher Erinnerungen einzuräumen. Ist damit die gestellte Frage nach dem Verhältnis von Erinnerung und Geschichtsschreibung bereits beantwortet? Oder bedarf es einer weitergehenden Differenzierung im Detail? Die Darlegungen meines Beitrages beruhen auf der These, dass das Verhältnis von subjektiver Erinnerung und objektiver Geschichtswissenschaft noch nicht geklärt ist. Es bedarf vielmehr einer weitergehenden Analyse und sodann einer Reformulierung. In meinem Beitrag soll betont werden, dass dem Objektivitätsanspruch der Geschichtswissenschaft weiterhin unverändert der Vorrang gegenüber der Erinnerung zukommt. Es ist aber meine Absicht zu zeigen, dass in den bisherigen Überlegungen zu dieser Frage hermeneutische und epistemologische Aspekte nicht ausreichend beachtet wurden.

Der spezifische Ansatz jeglicher historischer Forschung beruht auf einer bestimmten Fragestellung und erfolgt aus einer bestimmten Perspektive heraus. Zudem ist jegliche Geschichtsschreibung früher oder später einer Revision unterworfen - aufgrund erkenntnistheoretischer und forschungsfachlicher Überlegungen. Jeder Objektivitätsanspruch historischer Erkenntnis ist daher von vorübergehender Gültigkeit und ist in Relation zu einer spezifischen Forschungsperspektive zu sehen. Ist daraus zu folgern, dass die Ergebnisse historischer Forschung notwendigerweise zu relativieren sind - gerade im Hinblick auf den Objektivitätsanspruch gegenüber persönlichen Erinnerungen? Eine derartige Behauptung entspräche nicht dem geschichtswissenschaftlichen Selbstverständnis. Zudem ist zu bedenken, dass auch Erinnerungen nicht unveränderlich sind, sondern in der Interpretation ihrer Inhalte dem Wandel unterliegen: Aufgrund seitheriger Erfahrungen verändert sich Erinnerung mit zunehmender zeitlicher Distanz. Aufgabe einer philosophischen Reflexion, die das Verhältnis von Erinnerung und Geschichtswissenschaft erörtert und darlegt, ist es also zu untersuchen, ob sich der Objektivitätsanspruch der Geschichtswissenschaft auch dann noch begründen lässt, wenn die Relativität aller historischer Erkenntnis berücksichtigt wird. Unter der Voraussetzung, dass den Ergebnissen der Geschichtswissenschaft weiterhin die Priorität einzuräumen ist, bleibt folglich zu erörtern, wie das Verhältnis von Aussagen der Geschichtswissenschaft zu denen der Erinnerung zu formulieren ist.

Eine philosophische Reflexion - unter dem Gesichtspunkt "Lebenswelt und Wissenschaft" - sollte imstande sein, die Feinheiten des Vorrangs von Geschichtswissenschaft gegenüber Erinnerung herauszuarbeiten und in pointierter Form darzulegen. Es ist daher die Absicht meines Beitrages, dieses Verhältnis zu analysieren. Hierzu werde ich Aspekte der bisherigen Diskussion darlegen und dann auf erkenntnistheoretische Schwierigkeiten hinweisen. Ziel ist eine differenzierte Reformulierung des Verhältnisses von Erinnerung und Geschichtswissenschaft.

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