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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Dr. Michael von Grundherr (München) - Curriculum Vitae
Gleiche Gesundheit, ungleiche Chancen: Warum eine Gleichverteilung gesundheitsrelevanter Ressourcen weder rational noch fair ist

Abstract

Stehen in einer freien und gerechten Gesellschaft jedem die gleichen Ressourcen zum Schutz und Erhalt der Gesundheit zu? Diese Frage würden auch viele bejahen, die im Rahmen einer chancen- und leistungsorientierten Auffassung von Gerechtigkeit sonst eine ungleiche Verteilung von Gütern zulassen oder fordern. Institutionalisiert ist diese Überzeugung in Gesellschaften, deren Gesundheitssysteme gesundheitsrelevante Ressourcen stärker egalitär verteilen als andere Güter. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland ist ein gutes Beispiel.

Ich werde argumentieren, dass ein solches System weder rational begründbar noch mit dem Prinzip der Chancengleichheit verträglich ist. Damit beziehe ich kritisch zu dem Ansatz von Norman Daniels (2008) Stellung, der den besonderen moralischen Status von Gesundheit aus ihrem Beitrag zur Chancengleichheit ableitet.

Das GKV-System basiert auf dem Grundsatz, dass Chancen auf Wiederherstellung der Gesundheit – anders als andere Güter – gleich verteilt werden sollten. Jeder zahlt nach seiner Leistungsfähigkeit einen Teil seines Gehalts ein und erhält nach seinem Bedarf gegebenenfalls eine unbegrenzt teure medizinische Behandlung.

(-) Es ist ein Umverteilungssystem, im Rahmen dessen die besser Verdienenden verpflichtet sind, eine umfassende Krankenversicherung mit fast maximalem Leistungsangebot für die schlechter gestellten mitzufinanzieren.

(-) Die schlechter gestellten haben die Pflicht, die Transferleistung für eine solche Versicherung auszugeben, auch wenn es aus ihrer Sicht nicht rational ist. Diese Art von Paternalismus ist unvermeidbar, will man ein ausgewähltes Gut nach einem speziellen Muster (z.B. gleich) verteilen: Andernfalls würden viele die Leistung in Güter umtauschen, die Ihnen wichtiger sind (z.B. eine besonders gute Ausbildung).

(A) Dieses egalitäre System kann nicht als rational für alle Mitglieder der Gesellschaft gerechtfertigt werden: Es ist für einige nachteilig und viele würden – auch wenn sie hinter einem Schleier des Nichtwissens ihre Position in der Gesellschaft und ihren Gesundheitszustand nicht kennten - im eigenen Interesse eine Institution in der Art der GKV nicht wählen. Denn Gesundheit ist, wie ich ausführlich argumentieren werde, keine conditio sine qua non des guten Lebens im Allgemeinen; einzelne werden sie – vernünftigerweise – im Rahmen ihres Lebensplanes nicht als höchsten und einige wenige nicht einmal als besonders hohen Wert einschätzen. Für sie ist es irrational, in bestimmte Teile der Krankenversicherung zu investieren. Warum aber sollte man eine gesellschaftliche Norm wählen, die in einigen Fällen zu irrationalem Verhalten zwingt? Der unvermeidbare Paternalismus eines Systems, das eine spezifische Verteilung eines einzelnen Guts vorschreibt, ist nicht im Interesse jedes Einzelnen.

(B) Kann das System unabhängig davon durch eine moralische Pflicht zur Erhaltung der Gesundheit aller Mitglieder der Gesellschaft gerechtfertigt werden, die stärker ist als die anderen Normen, die die Verteilung von Gütern in der Gesellschaft regeln? Das in vielen Theorien der Gerechtigkeit akzeptierte Prinzip der Chancengleichheit wird hierfür häufig, etwa in den Werken von Daniels, als Grundlage herangezogen. Für das egalitäre System der GKV müsste man argumentieren: „Gesundheit sollte man mit dem Ziel der Chancengleichheit als Voraussetzung eines gelungenen Lebens soweit als möglich angleichen.“ Doch hier greift prinzipiell dasselbe Argument, das ich oben gegen die Rationalität des Systems angeführt habe. Es ist falsch, dass ohne umfangreiche medizinische Absicherung kein Lebensplan realisiert werden kann. Teure Behandlung am Lebensende ist aus Sicht einiger Lebenspläne sogar eine verschwendete Ressource. Eine erzwungen gleiche medizinische Absicherung verzerrt damit die Chancen der einzelnen, Ihren Lebensplan zu realisieren.

(C) Was die Forderung nach einer besonderen egalitären Verteilung gesundheitsrelevanter Ressourcen prima facie plausibel erscheinen lässt, ist die falsche Annahme, dass Gesundheit für jeden gleich wertvoll und zudem für jeden wichtiger als andere Güter ist. Eine freie Gesellschaft, die ihren Mitgliedern ein autonomes Leben ermöglicht, muss jeden selbst über den Wert entscheiden lassen, den Gesundheit relativ zu anderen Gütern für seinen Lebensplan hat. Das gilt übrigens auch für ein generell egalitäres freiheitliches System: Auch dieses muss den einzelnen die Entscheidung überlassen, wie sie die gleich verteilten Ressourcen einsetzen.

Ausgewählte Referenzen:

Daniels, Norman (2008). Just Health: Meeting Health Needs Fairly. Cambridge, New York.

Daniels, Norman (1985). Just Health Care. Cambridge.

Callahan, Daniel und Angela A. Wasunna (2006). Medicine and the Market: Equity v. Choice. Baltimore.

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Curriculum Vitae von Dr. Michael von Grundherr

Studium:
  • Bis 2006: Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie, Mathematik, Germanistik (Georg-August-Universität Göttingen, LMU München, University of Cambridge (UK)). Abschluss: Dr. phil.
Promotion:
  • 2006: Metaethische Grundlagen des interessenbasierten moralischen Kontraktualismus (LMU München)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • LMU München
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Metaethik
  • Angewandte Ethik und politische Philosophie (Grundlagen der Medizinethik, Gerechtigkeit im Gesundheitswesen)
  • Wirtschaftsethik
Berufliche Stationen:
  • 2004 - 2005: Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Philosophie und Ökonomik, LMU München
  • 2006 - 2008: Unternehmensberater im Gesundheitssektor, McKinsey&Company, Inc.
Wichtigste Publikation(en):
  • Moral aus Interesse: Metaethik der Vertragstheorie. Berlin, New York: DeGruyter 2007
  • Moralische Gefühle als Sanktionen. Zeitschrift für philosophische Forschung 60(3), 2007. S. 76-84
  • Kants Ethik in modernen Gesellschaften. Hamburg, Münster, London: LIT 2003
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