Sektionsredner
Dr. Christian Tewes (Jena) - Curriculum Vitae
Heterophänomenologie versus Phänomenologie? Methodologische Überlegungen zur Bewusstseinsforschung
Abstract
:
In seinen jüngsten Veröffentlichungen macht Daniel Dennett weiterhin geltend, dass eine angemessene Methode der Bewusstseinsforschung ausschließlich aus der Dritten- Person-Perspektive betrieben werden könne. In dezidierter Abgrenzung zur phänomeno- logischen Tradition bezeichnet er deshalb auch die ‚Heterophänomenologie’ als den allein gerechtfertigten methodischen Zugang zur Erforschung von Bewusstseinszuständen. Sowohl in der Philosophie des Geistes als auch in den Neuro- und Kognitionswissenschaften wächst jedoch die Einsicht, dass mit dem dezidierten Verzicht auf eine eigenständige Erforschung mentaler Zustände aus der Ersten-Person-Perspektive das Bewusstsein als Forschungsgegenstand verfehlt zu werden droht. In diesem Vortrag werde ich argumentieren, dass es sich bei der Heterophänomenologie weder um eine neutrale noch um eine hinreichende Methode der Bewusstseinsforschung handelt und dass zudem die Phänomenologie über die notwendigen forschungsmethodologischen Ressourcen verfügt, um die komplementäre wissenschaftliche Erschließung des Bewusstseins aus der Ersten-Person-Perspektive zu leisten. Eine Integration der verschiedenen Forschungsperspektiven für eine angemessene Erforschung des Bewusstseins - wie sie zum Beispiel in der Neurophänomenologie vorgenommen wird - erscheint deshalb als unabdingbar.
Der geplante Vortrag wird in vier Abschnitte unterteilt sein. In einem ersten Schritt sollen zunächst einige Charakteristika der Heterophänomenologie dargestellt werden. Dabei stehen insbesondere Argumente von Dennetts jüngster Veröffentlichung zur Hetero- phänomenologie im Vordergrund, in denen er zum Beispiel in Auseinandersetzung mit Levine und Chalmers erneut zu zeigen versucht, dass Bewusstseinsforschung insgesamt nur aus der Dritten-Person-Perspektive der Naturwissenschaften betrieben werden kann. Diesbezüglich bezieht er sich auch auf neuere Ergebnisse der Experimentalpsychologie und Neurowissenschaften, um den Vorrang der Dritten-Person-Perspektive an konkreten Beispielen zu erörtern. Dennetts Interpretation des Experimentes der ‚Veränderungs- blindheit’ wird stellvertretend für viele andere näher erläutert.
Im zweiten Teil soll eine kritische Evaluierung von Dennetts Heterophänomenologie vorgenommen werden. Es wird zunächst aufgezeigt, dass es sich bei Dennetts allgemeinen heterophänomenologischen Schlussfolgerungen wie im Fall des Experiments zur Veränderungsblindheit um ein non sequitur handelt. Zudem wird die Neutralitätsthese der Heterophänomenologie einer differenzierten Betrachtung unterzogen und Husserls Einsicht verteidigt, dass durch die Vernachlässigung oder Ausschließung der Ersten-Person-Perspektive die Erforschung des Bewusstseins notwendig unvollständig bleiben muss.
Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Phänomenologie als Methode der Bewusst- seinsforschung. Da es vielfältige experimentalpsychologische Belege dafür gibt, dass ein unmittelbarer Zugang zu den eigenen kognitiven Vorgängen in vielen Fällen nicht gegeben ist, stellt sich die Frage, wie eine Bewusstseinswissenschaft aus der Ersten-Person- Perspektive aufgebaut sein muss, um eine wissenschaftliche Erforschung mentaler Zustände zu gewährleisten. Es wird dafür argumentiert, dass gerade Husserls Methode der eidetischen Reduktion und Variation nicht nur essentielle Bewusstseinsstrukturen spezifizieren kann, sondern auch eine intersubjektive Überprüfung der Forschungs- ergebnisse ermöglicht (ähnlich wie im Fall der Mathematik). Neben der allgemeinen Forschungsmethodologie geht es dabei auch um die Frage, welche Möglichkeiten bestehen, die strukturell-eidetischen Einsichten der Phänomenologie für Experimente und Untersuchungen in den Kognitions- und Neurowissenschaften sinnvoll zu verwenden. Diesbezüglich werden zwei Anwendungsbereiche näher erläutert: so (a) der Einsatz von phänomenologisch geschulten Probanden in der Neurophänomenologie, aber auch (b) die Durchführung neurophänomenologischer Experimente aufgrund phänomenologisch gewonnener Erkenntnisse.
Abschließend werden die beiden Forschungsmethodologien in ihrem fruchtbaren Zusammenwirken einer erweiterten Betrachtung unterzogen. Ich werde dafür argumentieren, dass Forschungsergebnisse aus der Dritten-Person-Perspektive auch eine kritische Evaluation von Forschungsresultaten der Phänomenologie ermöglichen. Umgekehrt gilt jedoch ebenfalls, dass eine kritisch verfahrende Phänomenologie in der Lage ist, Defizite in der Interpretation von kognitions- und neurowissenschaftlichen Experimenten aufzudecken. Entscheidend ist jedoch, dass erst aufgrund des gemeinsamen Zusammenwirkens der verschiedenen Forschungsperspektiven und Methodologien eine ganzheitliche Erforschung des Bewusstseins zumindest in Aussicht gestellt wird.
Curriculum Vitae von Dr. Christian Tewes
- Bis 2001: Germanistik, Geschichte, Philosophie (Essen, St Andrews (Schottland)). Abschluss: Staatsexamen Sek I u. II, M. Litt
- 2005: Reduktion oder Reflexion? Studien zur Grundlegung der Bewusstseinsforschung bei Edmund Husserl und Daniel Dennett (Koblenz-Landau)
- Friedrich-Schiller-Universität Jena
- Philosophie des Geistes
- Phänomenologie
- Handlungstheorie
- 2006 - 2007: Lehrbeauftragter an der Universität Koblenz-Landau
- 2007: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
- Christian Tewes (2007): Grundlegungen der Bewusstseinsforschung. Studien zu Daniel Dennett und Edmund Husserl. München: Verlag Karl Alber