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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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Universitätsstr. 12
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FAQ

Sektionsredner

Michael Sollberger, M.A. (Lausanne, CH) - Curriculum Vitae
Lebenswelt und naiver Realismus

Abstract

Um die Hauptthese gleich vorweg zu nehmen: Ein naiver Wahrnehmungsrealismus kann im Lichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nicht plausibel vertreten werden. Der „common sense“ geht davon aus, dass wir uns in der Wahrnehmung unmittelbar einer von uns kausal und ontologisch unabhängigen, empirischen Welt bewusst sind, die im hier und jetzt existiert. Philosophen, die diese „common sense“ Auffassung vertreten, werden naive oder direkte Realisten genannt. Folglich offenbart dem naiven Realismus zufolge die Phänomenologie von perzeptuellen Erfahrungen deren wahre metaphysische Natur. Die zurzeit am besten ausformulierte Theorie des naiven Realismus ist der Disjunktivismus. Dieser behauptet, dass Wahrnehmungen und Halluzinationen keine typenidentischen mentalen Zustände sind: auch wenn veridische und nicht-veridische perzeptuelle Erfahrungen manchmal subjektiv ununterscheidbar sind, so liegt es doch in der Essenz von Wahrnehmungen, objektabhängige mentale Zustände zu sein (siehe Hinton (1973), Martin (2004; 2006) und Snowdon (2002)). Der Disjunktivist will verhindern, dass wir veridische Wahrnehmungen als intrinsisch nicht-relationale mentale Zustände konzipieren müssen; nur so sei es möglich, dass wir empirisches Wissen besitzen können (Putnam (1994)).

Mit Hilfe des Kausalarguments kann gezeigt werden, dass der naive Realismus nicht aufrechterhalten werden kann. Das Argument lautet wie folgt: 1) kortikale Mikrostimulation eines Gehirnzustandes G ist eine kausal hinreichende Bedingung, um in einer Person P eine Halluzination H hervorzurufen, die subjektiv ununterscheidbar von einer veridischen Wahrnehmung W sein kann. 2) W und H können beide G als eine typenidentische kausale Ursache haben. 3) Aufgrund des physikalischen Prinzips der lokalen Verursachung muss G auch hinreichend für H sein, wenn P in W ist. 4) Folglich konstituiert H den gemeinsamen mentalen Zustand aller perzeptuellen Erfahrungen. 5) Hs Existenz führt zu Ws explanatorischer Redundanz. 6) W muss eliminiert werden. 7) Folglich sind Wahrnehmungen nicht essentiell objektabhängig.

Demzufolge kann die Natur von perzeptuellen Erfahrungen nicht die sein, die sie intuitiv zu sein scheint: entweder sind wir uns in der Wahrnehmung nicht direkt empirisch-physikalischer Gegenstände bewusst, oder wir sind uns in nicht-veridischen Wahrnehmungen dieser Gegenstände direkt perzeptuell bewusst, ohne dass jene hic et nunc existieren. Für das Verständnis unserer Lebenswelt hat dies tief greifende Konsequenzen, denn es muss sowohl der metaphysische Status als auch unser epistemischer Zugang zu den phänomenal erlebten Objekten und deren Eigenschaften neu konzipiert werden.

John Foster (2000) und Michael Martin (2004a) haben argumentiert, dass das Kausalargument mit dem naiven Realismus kompatibel ist. Fosters Einwand kann jedoch nur unter der Annahme einer magischen Verursachung auf Distanz im psycho-physischen Bereich intelligibel gemacht werden. Diese Annahme ist angesichts der Relativitätstheorie empirisch höchst unplausibel. Andererseits muss man auch Martins Einwand zurückweisen, denn dieser führt unweigerlich in einen perzeptuellen Epiphänomenalismus.

Das Kausalargument illustriert schließlich, dass uns die Phänomenologie von Wahrnehmungen systematisch in die Irre führt. Deswegen kann die natürliche Erfahrung der Lebenswelt nicht mehr als legitime Rechtfertigung dienen, wenn es darum geht, die metaphysische Natur von perzeptuellen Erfahrungen zu begreifen. Daraus folgt u.a., dass uns die Erfahrung per se nicht befähigt, zwischen Idealismus, Phänomenalismus oder repräsentationalem Realismus zu entscheiden, da unsere natürliche Präferenz für den repräsentationalen Realismus einzig und allein auf der Intuition des naiven Realismus beruht. In Anbetracht der Tatsache, dass das Kausalargument naturwissenschaftlich motiviert ist, folgt deshalb auch, dass eine anti-realistische Interpretation der Lebenswelt bereits inhärent im naturwissenschaftlichen Verständnis angelegt ist. Wenn wir ferner annehmen, dass der naive Realismus eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit von empirischem Wissen darstellt, dann scheint das Kausalargument den Weg für viele Arten von skeptischen Szenarien zu ebnen. Die Kluft zwischen philosophisch-empirisch inspiriertem Denken und lebensweltlicher Anschauung könnte hier also nicht größer sein.

Referenzen

Foster, John. 2000. The Nature of Perception. Oxford: Oxford University Press.

Hinton, J. M. 1973. Experiences: An Inquiry Into Some Ambiguities. Oxford: Oxford University Press.

Martin, M.G.F. 2004. The Limits of Self-Awareness. Philosophical Studies 120 (1-3):37-89.

———. 2006. On being alienated. In Perceptual Experiences, edited by Tamar Szabo Gendler and J. Hawthorne. Oxford: Clarendon Press.

Putnam, Hilary. 1994. Sense, Nonsense, and the Senses: An Inquiry into the Powers of the Human Mind. The Journal of Philosophy 91 (9):445-517.

Snowdon, Paul. 2002. What is Realism? Proceedings of the Aristotelian Society 102 (2):201-228.

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Curriculum Vitae von Michael Sollberger, M.A.

Studium:
  • Bis 2006: Moderne und zeitgenössische Philosophie, Philosophie des Menschen und der Humanwissenschaften, Neurobiologie (Freiburg (CH)). Abschluss: Master
Promotion:
  • Direkter Realismus und das Illusionsargument (Lausanne (CH))
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Lausanne
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Philosophie der Wahrnehmung
  • Philosophie des Geistes
  • Wissenschaftstheorie
Berufliche Stationen:
  • 2002 - 2004: Tutor
  • 2004 - 2006: Unterassistent
  • 2006 - aktuell: Assistent
Wichtigste Publikation(en):
  • 2006 : "Representationalism and tactile "vision"", in Esfeld, M. (ed.) : John Heil. Symposium on his ontological point of view, Ontos-Verlag, Frankfurt, 213-230.
  • 2005 : "Commentary on Jaegwon Kim, Laws, Causation, and Explanation in the Special Sciences", in History and Philosophy of the Life Sciences, Vol. 27, 339-344.
  • 2008 : with Michael Esfeld: “Recent German books in the philosophy of mind”, forthcoming in Dialectica.
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