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FAQ

Sektionsredner

Thorsten Sindermann, M.A. (Frankfurt/M.)
Der Takt und seine Moral

Abstract

Abstract: Der Takt und seine Moral

Thorsten Sindermann (Frankfurt/M.)

Der Vortrag wird sich mit dem Phänomen des sozialen Takts beschäftigen. Gemäß dem Generalprogramm befindet sich dieses Thema einerseits an der »Nahtstelle von philosophischem Denken und fachwissenschaftlichen Forschungen«, wenngleich es nicht viele und nicht ausgreifende Forschungen und auch keine zeitgenössischen zu diesem Thema gibt. Andererseits befindet es sich an der »Nahtstelle« von »philosophischem Denken und aktuellen gesellschaftlichen Problemlagen«. Allerdings gilt erstens die Einschränkung, dass der Takt ein Phänomen nicht nur von derzeit aktueller, sondern prinzipiell aktueller Problematik ist, und dass er zweitens nicht einen Gesellschaftszustand als solchen und in großem Maße, sondern als kleine Form des sozialen Umgangs in etwas kleinerem gesellschaftlichem Spiegel zeigt. Damit scheint mir das Thema Takt am ehesten in die Sektion »Lebenskunst und Orientierung« zu gehören. Es erweist sich denn durchaus als eine Sache der Lebenskunst, die von einem speziellen Umgang mit sich selbst einen direkten Einfluss auf den Umgang mit anderen Menschen hat. Es dient nicht zuletzt deshalb der sozialen Orientierung für sich und die Anderen, und stellt da¬mit ein Thema nicht nur der individuell-prudentiellen, sondern zuvörderst der sozial-moralischen Lebenskunst dar.

Ich werde den Takt als ein grundlegend moralisches Phänomen bestimmen. Er ist eine Form der Anerkennung, die sich keineswegs in bloß tradierten und übernommenen Umgangsformen des Großbereichs der Höflichkeit erschöpft. Vielmehr zeugt der Takt von der situationssensitiven Aufmerksamkeit für die Belange des und der Anderen. Dafür ist jedoch zunächst eine Aufmerksamkeit auch auf sich selbst nötig, um das eigene Agieren und Reagieren in Konstellationen mit anderen Menschen ab- und einschätzen zu können. Gegenüber der verbreiteten Annahme, der Takt sei ein Distanzphänomen und sei das Abstandhalten gegenüber Anderen, um ihnen nicht zu nahe zu kommen, werde ich ihn ebenfalls als eine Sache der sozialen Distanz bestimmen, aber dahingehend präzisieren, dass er eine Angelegenheit der richtigen Distanz ist: Er stellt nicht nur Distanz her, wenn nötig, sondern er verringert sie auch, wenn nötig. Denn taktlos kann es sowohl sein, jemandem zu nahe zu treten und seine Sphäre nicht anzuerkennen, als auch, jemandem zu fern zu bleiben und just dadurch den gleichen Effekt zu zeitigen. Der entscheidende, auch in anderen sozial- und moralphilosophischen Kontexten relevante Mechanismus zum Austarieren der jeweils richtigen sozialen Balance ist der Perspektivenwechsel. Kein Takt kommt ohne ihn aus und jeder Takt muss ihn personen- und situationsspezifisch vollziehen können. Nur er kann gewährleisten, den Anderen so zu berücksichtigen, wie es für bestimmte Anerkennungsverhältnisse nötig ist, nämlich in Hinsicht auf seine konkrete Position und Perspektive. Und nur er beinhaltet das Moment der Zurücknahme der eigenen Perspektive zum Zweck der Integration einer anderen.

 

Einige Theoretiker werden mit einigen Theoriestücken den Hintergrund dieser Bestimmung von Takt als eines immer sozialrelevanten und daher aktuellen Phänomens der individuellen, aber vor allem sozialen Orientierung und Lebenskunst und damit der »Lebenswelt« bilden. Zu denken ist hier vor allem an Soziologen wie Georg Simmel und Erving Goffman, aber auch an Bemerkungen bei Kant, Gadamer und Adorno. Im Ausgang von ihnen wird sich der Takt befreien lassen von der Aura einer bloß formellen Höflichkeitsform, die mit einem ambivalenten Charakter eingeschätzt werden kann, und sich vielmehr bestimmen lassen als eine soziale Umgangsform mit Anwendung in allen Formen des sozialen Miteinanders: in Bekanntschafts-, Verwandtschafts-, Freundes- und gerade auch Liebesbeziehungen, wie auch in Berufs-, Arbeits- und sonstigen Verhältnissen mit eher formellerem Charakter, bis hin zum Kontakt mit Fremden. Als ein Phänomen des Abstandnehmens, Abstandhaltens oder Abstandverringerns ist der Takt sowohl in Fern- und Fernst-, als auch in Nah- und Nächstbeziehungen ein unverzichtbares Moment des sozialen Agierens und Reagierens. Und als solches ist er ebenfalls von bestimmten historischen, kulturellen und sonstigen sozialen Kontexten unabhängig, weil er nämlich immer dort seinen Ort hat, wo sich Menschen als Menschen begegnen und auch so behandeln. Allerdings könnte man sagen, dass der Takt gerade in unserer heutigen Zeit und Gesellschaft, die in ihrem modernen und multikulturellen Charakter einerseits und andererseits der bislang nicht geahnten Überbrückung von ehedem bestehenden räumlichen, dadurch aber auch sozialen Distanzen aller Art ganz neue Interaktionsweisen erfordert, von virulenter Bedeutung ist.

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