Sektionsredner
Ansgar Seide (Münster) - Curriculum Vitae
Wie externalistisch ist Sellars’ Theorie des Beobachtungswissens?
Abstract
In seinem berühmten Essay „Empiricism and the Philosophy of Mind“ unterzieht Sellars fundamentalistische Rechtfertigungstheorien einer allgemeinen Kritik. Um seine Argumentation gegen den Fundamentalismus konstruktiv zu untermauern, formuliert er einen alternativen Ansatz zur Rechtfertigung von Beobachtungsbehauptungen, der jedoch aufgrund seiner Skizzenhaftigkeit zu kontroversen Auslegungen Anlass gegeben hat.
In der Literatur zu „Empiricism and the Philosophy of Mind“ finden sich häufig zwei kritische Thesen, die sich auf Sellars’ Argumentation gegen den erkenntnistheoretischen Fundamentalismus bzw. auf seinen eigenen alternativen Ansatz beziehen. Der ersten These zufolge ist Sellars’ Kritik am so genannten „Mythos des Gegebenen“ unzureichend, weil in ihr die Möglichkeit externalistischer Rechtfertigung von Beobachtungsmeinungen ohne ein entsprechendes Argument übergangen werde. Die zweite These besagt, dass Sellars aufgrund dieser Nichtberücksichtigung externalistischer Rechtfertigung einen unplausibel starken Internalismus vertritt. Ich werde in meinem Vortrag versuchen, Sellars vor allem in Bezug auf den zweiten Punkt zu verteidigen. Zunächst zeigt eine genauere Betrachtung von Sellars’ Argumentationsgang, dass er keineswegs beabsichtigt, externalistische Rechtfertigungsansätze zu widerlegen. Vielmehr geht es ihm darum, eine eigene Theorie des Beobachtungswissens auszuführen, die als konstruktiver Gegenentwurf zu klassischen fundamentalistischen Rechtfertigungstheorien verstanden werden muss. Wie ich herausarbeiten möchte, zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass dieser Theorieansatz, so radikal internalistisch er zunächst erscheinen mag, genuin externalistische Elemente beinhaltet und den Alternativen seiner Kritiker dadurch z.T. sehr nahe kommt.
Sellars’ Ansatz geht aus von einer Betrachtung so genannter Beobachtungsberichte <observation reports>. Beobachtungsberichte sind in den einfachsten Fällen etwa Aussagen der Form „Dies ist grün.“ Sellars stellt die Frage in den Vordergrund, wodurch Berichte dieser Art ihre Rechtfertigung erlangen können.
Als Ausgangspunkt wählt er folgende Überlegung: Damit ein Vorkommnis des Satztyps „Dies ist grün“ als Ausdruck von Beobachtungswissen gelten kann, muss die entsprechende Aussage unter den bestehenden Umständen ein zuverlässiger Indikator für das Vorhandensein eines grünen Objektes sein. Diese uns heutzutage aus reliabilistischen Theorien bekannte Bedingung betrachtet er jedoch keineswegs als hinreichend für Wissen. Damit das Subjekt in der durch den Bericht ausgedrückten Meinung gerechtfertigt ist, muss das Subjekt Sellars zufolge außerdem wissen, dass es unter den gegebenen Umständen ein zuverlässiger Berichterstatter ist.
Auf den ersten Blick erscheinen diese Überlegungen tatsächlich als Ausdruck einer stark internalistischen Konzeption von Beobachtungswissen. Es scheint nahe zu liegen, dass Sellars eine reliabilistische Grundidee (Zuverlässigkeit als notwendige Bedingung für Rechtfertigung) durch eine Zusatzbedingung (das Subjekt muss von seiner Zuverlässigkeit als Beobachter wissen) in einen internalistischen Rahmen kleidet. Eine genauere Betrachtung von Sellars’ Gesamtkonzeption und insbesondere eine Analyse dessen, was er darunter versteht, dass ein Subjekt weiß, dass es ein zuverlässiger Beobachter ist, fördert jedoch genuin externalistische Rechtfertigungselemente zutage.
Curriculum Vitae von Ansgar Seide
- Bis 2005: Philosophie, Mathematik (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). Abschluss: Staatsexamen Lehramt Sek II/I
- Kohärenz und Skeptizismus (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
- Westfälische Wilhelms-Universität Münster
- Erkenntnistheorie (insbes. Theorien der epistemischen Rechtfertigung, Skeptizismus)
- Sprachphilosophie
- Metaphysik
- Oktober 2007: wissenschaftlicher Mitarbeiter
- Juli 2005 - Februar 2007: wissenschaftliche Hilfskraft
- Schmoranzer, Sebastian/ Seide, Ansgar (2008): „Brandom on Knowledge and Entitlement“, in: Prien, Bernd/ Schweikard, David (Hrsg.): Robert Brandom: Analytic Pragmatist, Frankfurt a.M.: Ontos Verlag, S. 47-57.
- Schmoranzer, Sebastian/ Seide, Ansgar (2005): „Von Kutscheras realistischer Realismus, das Problem der Erkenntnisskepsis und analytische Wahrscheinlichkeitskorrelationen“, in: Halbig, Christoph/ Weidemann, Christian (Hrsg.): Franz von Kutschera: Analytische Philosophie jenseits des Materialismus, Münster, S. 39-55.
- Seide, Ansgar (im Erscheinen): „Contextualist References in Nelson Goodman’s Solution to the ,New Riddle of Induction‘“, in: Ernst, Gerhard/ Steinbrenner, Jakob/ Scholz, Oliver (Hrsg.): Nelson Goodman: Von der Logik zur Kunst. Ein Rückblick anlässlich seines 100. Geburtstags, Frankfurt a.M.: Ontos-Verlag.