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FAQ

Sektionsredner

David Schweikard, M.A. (Köln)
Patientenautonomie, epistemische Autonomie und epistemischer Paternalismus

Abstract

Im Zentrum des medizinethischen Interesses an der Arzt-Patienten-Beziehung stehen die Wahrung und der Respekt vor der Autonomie des Patienten bei allen medizinischen Handlungen. Aufgrund asymmetrisch verteilter Fachkompetenz liegt nahe, die Arzt-Patienten-Beziehung in epistemischer Hinsicht als Fall des Experte-Laien-Verhältnisses zu behandeln, das aktuell in der sozialen Erkenntnistheorie diskutiert wird. Wenn eindeutig der Arzt als Experte und der Patient als Laie identifiziert wird, provoziert dies die Fragen, ob der Patient in epistemischer Hinsicht überhaupt autonom ist, und ob es angesichts dieser Lage womöglich sogar geboten ist, dass der Arzt die für die Beurteilung eines konkreten Krankheitsbildes relevanten Informationen im antizipierten Sinne des Patienten sondiert und nur selektiv weitergibt.

In diesem Beitrag wird dafür argumentiert, dass erstens die soeben angegebene Skizze der epistemischen Dimension der Arzt-Patienten-Beziehung unterbestimmt und damit unzureichend ist, dass zweitens das Ideal epistemischer Autonomie nicht nur im Falle des Patienten, sondern auch im Fall des Arztes in dieser Konstellation fehlplaziert ist, und dass drittens die Praxis des epistemischen Paternalismus in Situationen, in denen Patienten bei Bewusstsein und urteilsfähig sind, unzulässige Eingriffe in die Patientenautonomie umfassen kann. Ziel des Beitrages ist, ethische Überlegungen zu Patientenautonomie mit epistemologischen Überlegungen zur Konstitution epistemischer Subjekte und zur epistemischen Dimension sozialer Beziehungen zusammenzuführen.

Im Blickpunkt stehen hier Fälle, in denen der Patient selbst keine medizinische Kompetenz hat, aber im Rahmen seiner intellektuellen Möglichkeiten in seiner Kommunikations- und Urteilsfähigkeit nicht eingeschränkt ist.

1. Gegen die Parallelisierung von Arzt-Patienten- und Experte-Laien-Beziehung spricht, dass in den hier anvisierten Situationen beide Seiten im Anamnesegespräch zur Klärung der Sachlage beizutragen haben, bevor eine ärztliche Diagnose möglichst oder gar Therapieentscheidungen getroffen werden können. An die Stelle des vormaligen einseitigen Bildes hat somit eine Konzeption gemischter Expertise zu treten, welche in der Phase der Sammlung relevanter Informationen von der Komplementarität und Gleichgewichtigkeit der Beiträge der Beteiligten ausgeht.

2. Wenn in einer frühen Phase des Verhältnisses Arzt und Patient gleichermaßen auf den anderen angewiesen sind, um das jeweils gegebene Krankheitsbild beurteilen zu können, und wenn zugelassen wird, dass die Beteiligten durch das Zeugnis des anderen Wissen erlangen, dann ist das in Ideal epistemischer Autonomie aufzugeben. Im Geiste frühneuzeitlicher Erkenntnistheorie wird unter diesem Ideal verstanden, dass das Wissen epistemischer Subjekte sich allein auf ihre eigenen Erfahrungen und kognitiven Fähigkeiten zu stützen hat. Zu klären ist, ob der Patient durch ärztliche Aufklärung tatsächlich Wissen oder nicht bloß einen niederrangigen epistemischer Überzeugung hinsichtlich seines Zustands erlangt, wie hoch also die Anforderungen an seine Einsicht in Fakten und Zusammenhänge sind.

3. Erkennt man für spätere Phasen der Arzt-Patienten-Beziehung an, dass ein für Patienten nicht erreichbarer Grad medizinischer Kompetenz vonnöten ist, um z.B. Therapieentscheidungen zu treffen, so rückt das Konzept des epistemischen Paternalismus ins Blickfeld. Epistemischer Paternalismus liegt vor, wenn die für eine Entscheidung maßgeblichen Informationen ohne Einfluss des Entscheidenden, aber zugunsten der Qualität seiner Entscheidung systematisch selektiert werden. Einen solchen systematischen Filter stellt z.B. der Grundsatz in gerichtlichen Verfahren dar, nach dem Richter nur zulässiges Beweismaterial zur Grundlage eines Urteils machen dürfen. Im hier anvisierten Fall hieße dies, dass der Arzt dem Patienten eine bestimmte Auswahl der Therapieoptionen vorstellt und erläutert, um dem Patienten zur Entscheidung für die (aus Sicht des Arztes) beste Alternative zu verhelfen. Fraglich ist, ob diese Praxis einen unzulässigen Eingriff in die moralische Autonomie des Patienten darstellt. Zu bejahen ist dies, wenn – wie hier vorgeschlagen wird – mit moralischer Autonomie der Anspruch verknüpft wird, auch dann als Konversationspartner und Entscheidungsträger im Vollsinn behandelt zu werden, wenn spezifische Fachkompetenz fehlt. Gewahrt wird Patientenautonomie dann, wenn bzgl. der relevanten Fakten und Alternativen größtmögliche Transparenz hergestellt wird. Weder wird dadurch der Patient jedoch epistemisch autonom, da er auf Zeugnis und Kompetenz anderer angewiesen ist; noch schließt ein solches Plädoyer für Transparenz und Neutralität als epistemische Tugenden jede Art medizinischen Paternalismus generell aus.

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