Sektionsredner
Professor Dr. Gerhard Schurz (Düsseldorf) - Curriculum Vitae
Die Bedeutung des internalistischen Wissensbegriffs für den rationalen Diskurs
Abstract
(Hinweis: ***** steht für "Neuer Absatz"; ********** steht für "Neuer Absatz und Leerzeile").*****
Was unterscheidet bloß glücklicherweise wahre Meinung von echtem Wissen? Gemäss der klassischen Wissensdefinition ist dies die Bedingung der Rechtfertigung: die wissende Person muss eine adäquate aber nicht notwendigerweise unfehlbare Rechtfertigung für ihren Glauben liefern können.
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Ausgelöst durch die Gegenbeispiele von Gettier (1963) ist diese klassische Wissensdefinition seit den 1960er Jahren von mehreren Seiten her angegriffen wurden. Insbesondere das Regressproblem wurde mehrheitlich als unlösbar diagnostiziert (Grundmann 2001). In dieser Situation wurden daher andere Wissensbegriffe vorgeschlagen, welche diese Probleme zu umgehen suchen. Prominent darunter ist der externalistische Wissensbegriff. Er schlägt vor, auf die Bedingung der Rechtfertigung zu verzichten und stattdessen lediglich die de-fakto Reliabilität der Mechanismen zu fordern, aufgrund derer die fragliche Person zu ihrer Meinung gelangte (Goldman 1986). Der klassische Wissensbegriff wird dagegen auch der internalistische genannt, weil ihm zufolge einer wissenden Person die Gründe der Reliabilität ihrer glaubensgenerierenden Mechanismen auch bekannt bzw. intern zugänglich sein müssen - in Form einer adäquaten Rechtfertigung (Lehrer 1990).
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Durch diese zunächst recht geschickt erscheinende semantische Wendung verliert der externalistische Wissensbegriff leider seine Nützlichkeit für den rationalen Diskurs in unserer Gesellschaft. Dies sei an folgender Gegenüberstellung illustriert:
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Wie Externalist und Internalist die Wissensansprüche eines empirischen Wissenschaftlers versus eines religiösen Fundamentalisten beurteilen:
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Der empirische Wissenschaftler sagt: Leben ist das Resultat der Evolution; ich erschließe das aus empirischer Evidenz durch Induktion und/oder Abduktion.
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Der religiöse Fundamentalist sagt: Leben wurde von einem vollkommenen Gott geschaffen; ich schließe dies aus der Tatsache, dass Gott oft zu mir zu sprechen scheint.
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Der Externalist sagt zu diesen Wissensansprüchen jeweils folgendes:
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Die Meinung des empirischen Wissenschaftlers ist Wissen, wenn induktives und abduktives Schließen aus empirischer Evidenz ein reliabler Mechanismus ist - obwohl ich nicht weiß, ob dies der Fall ist.
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Die Meinung des religiösen Fundamentalisten ist Wissen, wenn sein vermeintlicher Empfang von Information durch Gott ein reliabler Mechanismus ist - obwohl ich nicht weiß, ob dies der der Fall ist.
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Der Internalist vermag folgendes hinzuzufügen, sofern er über eine adäquate Explikation des Rechtfertigungsbegriff verfügt:
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Der Wissensanspruch des empirischen Wissenschaftlers, aber nicht der des religiösen Fundamentalisten, ist berechtigt. Denn während induktives bzw. abduktives Schließen aus empirischer Evidenz als reliabel gerechtfertigt werden kann, kann Inspiration durch vermeintliche göttliche Stimmen in keiner Weise als reliabel gerechtfertigt werden.
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Der externalistische Wissensbegriff verliert seine Nützlichkeit für den rationalen Diskurs, da zwischen den Wissensansprüchen rationaler Argumentation und jenen dogmatischen Glaubens rational nicht weiter diskriminiert werden kann (Schurz 2008). Zwar wird ein naturalistischer Externalist das naturwissenschaftliche 'Wissen' als gegeben annehmen, aber im selben Sinne wird auch der religiöse Fundamentalist sein 'Wissen' als gegeben annehmen, und im rationalen Diskurs tritt eine Pattstellung ein, die nur durch Rekurs auf die Frage der Rechtfertigbarkeit von Wissensansprüchen durchbrochen werden kann, welche im internalistischen Wissensbegriff stattfindet.
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Wie ich darauf aufbauend herausarbeiten möchte, liegt die zentrale Funktion des
Wissensbegriffes für die kulturelle Evolution der Menschheit in der Bedingung der Rechtfertigbarkeit von Wissensansprüchen. Der evolutionäre Erfolg einer Gesellschaft hängt entscheidend von der Fähigkeit seiner Mitglieder ab, zwischen reliablen und nicht-reliablen Informationen und Informanten zu unterscheiden (Craig 1990). Individuen mit der Fähigkeit, die Reliabilität ihrer Informationen in Form von adäquaten Rechtfertigungen anzuzeigen, sind für die Gesellschaft ungleich wertvoller als Individuen, welche zwar gelegentlich wahre Informationen liefern, aber keine verlässlichen Anzeichen dafür liefern können, wann sie wahre Informationen liefern. Nur wenn eine Gesellschaft überwiegend aus Individuen der ersteren Art besteht, d.h. aus Individuen mit der Fähigkeit zu internalistischem (und nicht bloß externalistischem) Wissen, können die Mitglieder dieser Gesellschaft reliable von nicht-reliablen Informanten statistisch signifikant voneinander unterscheiden, systematisch voneinander lernen, und erworbenes Wissen systematisch akkumulieren und weitertradieren.
Curriculum Vitae von Professor Dr. Gerhard Schurz
- Bis 1983: Philosophie, Chemie (Graz, Österreich). Abschluss: Dr. phil. Mag. rer. nat.
- 1983: Wissenschaftliche Erklärung (Graz)
- 1990: Relevant Deduction (Salzburg)
- Düsseldorf
- Wissenschaftstheorie und Logik
- Erkenntnistheorie und Kognitive Wissenschaft
- 1983 - 1999: Assistent, Ao. Prof. Uni Salzburg
- 2000 - 2002: C3-Prof Uni Erfurt
- seit 2002: C4-Prof Uni Düsseldorf
- Wissenschaftliche Erklärung, dbv-Verlag Graz 1983
- The Is-Ought Problem, Kluwer Dordrecht 1997
- Einführung in die Wissenschaftstheorie, WBG Darmstadt