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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Dr. Tobias Schlicht (Bochum) - Curriculum Vitae
Kant und das Geist-Gehirn-Problem

Abstract

Die dominierende Position über das Verhältnis von Geist und Gehirn ist heute zweifellos der Physikalismus, demzufolge menschlicher Geist ontologisch auf physische Phänomene reduzierbar und physikalisch erklärbar sein soll (Kim 2005). Allerdings wird zumeist zugestanden, dass (zumindest noch) eine „Erklärungslücke“ (Levine 1983) besteht, weil Messungen von Gehirnvorgängen nicht verständlich machen können, warum eine bewusste mentale Vorstellung subjektiv erlebt wird, warum sie etwas für ein Subjekt der Erfahrung ist. Heftig debattiert wird, ob der Physikalist diese Lücke auf empirischem Wege wird schließen können oder ob daraus gar eine reale ontologische Verschiedenheit von bewussten und neuronalen Eigenschaften gefolgert werden kann, wie einige Dualisten behaupten (Chalmers 1996).

Anhand von Kants "Kritik der reinen Vernunft" soll eine heute wenig beachtete, aber überzeugende systematische Alternative zum reduktionistischen Physikalismus und zum ontologischen Dualismus aufgezeigt werden: der „erkenntnistheoretische Dualismus“. Grundsätzlich betont Kant, wie sich implizit aus der "Transzendentalen Deduktion" ergibt, gegen den Erklärungsanspruch des Physikalisten, dass die Erklärungslücke nicht empirisch geschlossen werden kann, weil zur Erklärung unserer bewussten Erfahrung erkenntnistheoretische Annahmen wie die Einheit des Selbstbewusstseins und Synthesisleistungen erforderlich sind, die ihrer Natur nach nicht empirisch sind (1). Er kritisiert aber außerdem, wie sich aus seiner Auseinandersetzung mit Descartes im "Paralogismen"-Kapitel ergibt, ontologische Folgerungen aus der Lücke, weil diese Annahmen nicht zu unhintergehbaren Entitäten in der Welt hypostasiert werden dürfen (2).

(1a) Im Kontext seiner erkenntnistheoretischen Überlegungen befasst sich Kant mit der Frage, welche Bedingung eine mentale Vorstellung erfüllen muss, damit sie nicht nur unbewusst vorliegt, sondern mir bewusst bzw. etwas für mich ist. Kants Antwort ergibt sich aus seiner zentralen These, dass das ‚Ich denke’ alle meine Vorstellungen müsse begleiten können, d.h. eine Vorstellung ist nur dann etwas für mich, wenn sie zur Einheit des Selbstbewusstseins gehört, bzw. wenn sie Element der globalen Vorstellung ist, die meine eine bewusste Erfahrung ausmacht. Vorstellungen, die nicht in diese Einheit integriert werden können, heißen dunkle bzw. subliminale Vorstellungen (z.B. Blindsicht, Priming).

(1b) Dies erlaubt auch eine Antwort auf die Frage nach den Bedingungen für die Einheit der bewussten Erfahrung sowie für die Möglichkeit, mir meiner selbst als identisches Subjekt angesichts wechselnder Vorstellungen bewusst zu werden. Ein Identitätsbewusstsein kann sich nämlich nicht angesichts einer einzelnen, sondern nur angesichts einer geregelten Verbindung von Vorstellungen einstellen. Diese kann Kant zufolge wiederum nur durch eine aktive, spontan-dynamische Synthesis-Leistung zustande kommen, die der Verstand am sinnlich rezipierten Input vollzieht, und zwar nicht assoziativ, was zu „bloß regellosen Haufen“ (A121) führen würde, sondern logischen Gesetzen folgend. Diese Verknüpfungsleistung ist notwendig zur Erklärung des Denkens von Sachverhalten, zur Wahrnehmung eines und desselben Gegenstandes über die Zeit hinweg, sowie zur Erklärung der Vorstellungsverbindung zur Einheit der Erfahrung. Ich kann mir meiner selbst als identisches Subjekt deshalb bewusst werden, weil meine Vorstellungen (gemäß der erfüllten Bedingung) als bewusste schon auf das identische Bezugszentrum ich bezogen sind. Die Bedingung der möglichen Zugehörigkeit zur Einheit des Selbstbewusstseins ist eine rein erkenntnistheoretische Annahme, sie kann aber nicht empirischer Natur sein und lässt sich daher auch nicht durch die Erforschung von Gehirnvorgängen erklären.

(2) Kant weist Descartes’ ontologischen Dualismus zurück, weil dieser das Ich, eine rein erkenntnistheoretische Bedingung der Subjektivität, zu einem Objekt hypostasiere und sodann dessen rein logische Bestimmungen mit anschaulichen, objektiv-realen Bestimmungen eines Ich-Objekts verwechsle. So zeigt Kant, dass aus der logischen Denkbarkeit nicht die reale Möglichkeit eines substanziellen Ich gefolgert werden kann (was ebenso für Eigenschaften gilt). Eine Existenzgewissheit nimmt Kant nur für das empirische Ich an. Im Fall des Selbstbewusstseins ist aber die „Existenz“ eines unbestimmten Subjekts X eines Gedankens ‚Ich denke, dass p’ dadurch garantiert, dass dieser als Urteil über eine bereits auf mich (=X) bezogene bewusste Vorstellung p vorliegt. Richte ich meine Aufmerksamkeit auf mich als Subjekt, dann referiere ich mit dem Ausdruck ‚ich’ auf „etwas Reales,“ auf ein „unbestimmt gegebenes Object“, von dem ich eine „unbestimmte Wahrnehmung“ haben kann (B422f. Anm.), was aber aufgrund der fehlenden anschaulichen Gegebenheit des Ich keine Selbsterkenntnis darstellt.

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Curriculum Vitae von Dr. Tobias Schlicht

Studium:
  • Bis 2001: Philosophie, Germanistik, Geschichte (Köln, London (UCL)). Abschluss: M.A.
Promotion:
  • 2005: Erkenntnistheoretischer Dualismus. Das Problem der Erklärungslücke in Geist-Gehirn-Theorien (Köln)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Ruhr-Universität Bochum
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Philosophie des Geistes, Kognitionswissenschaften
  • Erkenntnistheorie
  • Kant
Berufliche Stationen:
  • 2001 - 2005: Wissenschaftlicher Mitarbeiter Uni Köln
  • 2006 - 2007: Wissenschaftlicher Mitarbeiter Uni Tübingen
  • 2007 - 2009: Wissenschaftlicher Mitarbeiter Uni Bochum
Wichtigste Publikation(en):
  • Erkenntnistheoretischer Dualismus. Das Problem der Erklärungslücke in Geist-Gehirn-Theorien. Paderborn: Mentis 2007
  • Der neuronale Angriff. Willensfreiheit, Neurobiologie und Ethik, in: Ethikbegründungen zwischen Universalismus und Relativismus. Hrsg. von K. Engelhard, D.H. Heidemann. Berlin/New York: De Gruyter 2005, S. 339-364.
  • Ein Stufenmodell der Intentionalität, in: Zur Zukunft der Philosophie des Geistes. Hrsg. von P. Spät. Paderborn: Mentis 2008
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