Sektionsredner
Benedikt Schick (Berlin) - Curriculum Vitae
Die Wirksamkeit von Gründen
Abstract
In unserer Lebenswelt ist die Praxis des Begründens fest etabliert und bewährt. Gründe spielen nicht nur im Bereich des Handelns eine Rolle, sondern ebenso im Bereich des Wissens. Angesichts der seit einigen Jahren vor allem von Neurowissenschaftlern angestoßenen Debatte über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Willensfreiheit erhält die Frage nach der Rolle von Gründen neue Aktualität. Schließlich wird nicht nur in der kantischen Tradition die menschliche Freiheit an praktische Rationalität geknüpft, sondern ebenso stützen sich Kompatibilisten in ihrer Argumentation häufig auf die menschliche Fähigkeit, das Handeln durch Gründe zu bestimmen. So z.B. Ansgar Beckermann, wenn er schreibt: „Offenbar hat Willensfreiheit entscheidend damit zu tun, dass unser Wille durch moralische und durch Klugheitsüberlegungen beeinflusst werden kann“ (Beckermann, 25). Hier scheint sich über verschiedene kompatibilistische und inkompatibilistische Positionen hinweg zumindest dieser Konsens anzudeuten: Willensfreiheit hängt mit der menschlichen Fähigkeit, Gründe im Handeln wirksam werden zu lassen, zusammen. Wie ist es nun aber tatsächlich mit dieser Fähigkeit bestellt? Kritik wird vor allem von empirischen Wissenschaftlern geäußert (vgl. z.B. Wegner / Wheatley). Demgemäß ist menschliches Verhalten durchgängig naturkausal bestimmt, Gründe spielen allenfalls eine pragmatisch-heuristische Rolle innerhalb der Lebenswelt, ohne jedoch einen wirklichen Erklärungswert zu haben, für das, was sich real ereignet.
Humeaner leugnen die Wirksamkeit von Gründen dagegen nicht. Sie meinen, diese Wirksamkeit verständlich machen zu können, indem sie Gründe „internalistisch“, d.h. mit Rekurs auf Wünsche des Handlungssubjekts deuten. Kritiker halten dagegen, dass in diesem (neo-) humeschen Modell das Unterscheidende von Gründen und Ursachen zu verschwinden droht, und dass der Normativität von praktischen Gründen nicht angemessen Rechnung getragen werden kann.
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen soll in diesem Beitrag für die Möglichkeit externalistischer Wirksamkeit von Gründen argumentiert werden, und zwar mit folgenden Argumentationsschritten: Es gibt eine Verwandtschaft von theoretischen und praktischen Gründen. Es handelt sich bei theoretischer und praktischer Rationalität nicht um völlig disparate Bereiche. Es ist zweitens äußerst unplausibel, theoretische Gründe anders als externalistisch zu deuten. Es spricht viel dafür, dass theoretische Gründe normativen Einfluss ausüben, ohne dabei an eine interne Wunschstruktur anzuknüpfen. Diese Einflussnahme von Gründen kann nicht mechanistisch-kausal verstanden werden. Auf der Grundlage dieser Annahmen ─ soweit sie gut begründet sind ─ kann die Möglichkeit, dass externe Gründe auch handlungswirksam werden können, verteidigt werden. Ungeachtet der bleibenden Fragen und Probleme, ist damit auch ein Argument für menschliche Verantwortbarkeit und Freiheit gegeben.
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Curriculum Vitae von Benedikt Schick
- Bis 2004: Philosophie, Theologie (Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, Universität Innsbruck, Humboldt-Universität zu Berlin). Abschluss: MMag.
- Humboldt-Universität zu Berlin
- 01.04.2007: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Guardini Lehrstuhl, Humboldt-Universität zu Berlin