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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Dr. Martina Roesner (Paris, F) - Curriculum Vitae
Die Krise der europäischen Kultur und der phänomenologische Nihilismus. Grenzfiguren der Rationalität bei Cohen, Natorp, Husserl

Abstract

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sieht sich die Philosophie in Deutschland mit einer zunehmenden Infragestellung des Paradigmas philosophischer Rationalität von seiten einer vernunftskeptischen Kultur- und Wissenschaftskritik bzw. eines unverhüllt irrationalistischen Vitalismus konfrontiert. Der Neukantianismus und die Husserlsche Phänomenologie versuchen auf je eigene Weise, dieser Entwicklung entgegenzutreten, indem sie dieselben Strukturen bzw. Phänomene, die von den Vertretern eines philosophischen Irrationalismus oder Skeptizismus ins Feld geführt werden, in transzendentalphilosophischem Sinne umdeuten und in den Entwurf ihrer eigenen universalen Vernunftbegründung mit hineinnehmen. Dies bedeutet allerdings, daß die Grenzen, die der Irrationalismus lediglich von außen an die Rationalität herangetragen hatte, nunmehr zum inneren Bestandteil der transzendentalen Selbstauslegung der Vernunft werden.

Im Marburger Neukantianismus fällt die Grenze zwischen dem unhintergehbaren Grund von Rationalität und dem von ihr nicht mehr thematisch Einholbaren mit dem Unterschied zwischen einer teleologisch-kulturüberformten und einer neutral-faktischen Betrachtung der Erfahrungswelt zusammen. Das reine Gegebensein von Erscheinungen ist für sich genommen ein irrationales Faktum, das erst durch die konstruierende Eingliederung der Phänomene in den teleologischen Gesamtzusammenhang der wissenschaftlichen Erkenntnis und der sich darauf aufbauenden Lebensform eine vernunftgemäße Dimension erhält. Der Begriff der „Kultur“, mit dem die Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens untrennbar verbunden ist, wird zum Synonym derjenigen Grundstruktur, in der sich die ideale, zumindest asymptotisch anzustrebende Konvergenz der theoretischen und praktischen Dimension der menschlichen Vernunft manifestiert, während die „bloße“, von teleologischen Betrachtungen abstrahierende Gegebenheit der Erscheinungswelt in ihrer Gesamtheit nicht mehr sinnvollerweise Gegenstand philosophischen Fragens sein kann. Das „Faktum der Kultur“ ist bei Cohen und Natorp also gerade nicht im Sinne eines kulturellen Relativismus oder Vernunftpessimismus negativ konnotiert, sondern fungiert aufgrund seiner wesentlich teleologischen Struktur vielmehr als Garant philosophisch-wissenschaftlicher Rationalität. Dies hat allerdings zur Folge, daß die teleologische Gesamtstruktur der Vernunftmethode implizit die letztlich irrationale Faktizität von Erscheinendem überhaupt voraussetzt, ohne deren Begründungsfunktion als solche transzendental artikulieren zu können.

Auf den ersten Blick scheint Husserl Transzendentalphänomenologie einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen; ist sie doch zumindest während der mittleren und späten Periode, die in der Krisis-Schrift gipfelt, vom Bestreben gekennzeichnet, den zeitgenössischen Strömungen vernunftskeptischer Wissenschaftskritik durch eine transzendentalphilosophische Neubegründung des Rationalitätsparadigmas zu begegnen und auf diese Weise die übergeschichtliche Gültigkeit der europäischen Kultur vor dem Hintergrund einer universalen Vernunftteleologie zu erweisen. Auf den zweiten Blick wird jedoch erkennbar, daß für Husserl das kulturelle Phänomen nicht schon in sich Träger von Rationalität ist, sondern seine teleologische Vernunftdimension nur vom Standpunkt einer phänomenologischen Betrachtung aus zugesprochen bekommt, die in ihrem konkreten Vollzug jedoch die faktische Existenz der Phänomene ebensowenig voraussetzen darf wie die Gültigkeit ihrer teleologischen Umdeutung.

Im Gegensatz zum Neukantianismus, der durch den überindividuellen Begriff der Kultur eine zumindest grundsätzliche Homogenität zwischen der Philosophie und den anderen Ausprägungsformen des menschlichen Geistes stiftet, besitzt Husserls Ansatz einer rationalitätszentrierten Erneuerung der Menschheitskultur insofern eine implizit „nihilistische“ Komponente, als die Ausübung der transzendentalen Phänomenologie als solche immer Sache der einzelnen, in ihrem konkreten Fungieren unersetzlichen Subjektsinstanz ist, deren transzendentale Faktizität keinem wie immer „vorgegebenen“ Faktum ontologischer, wissenschaftlich-struktureller oder kultureller Art verpflichtet ist. Husserls Versuch, die „geistige Krise“ Europas zu überwinden, vollzieht sich demnach nicht mehr in der Haltung grundsätzlicher Kontinuität mit dem rational neuzubegründenden Ideal der Vernunftkultur, sondern entspringt als solcher einem „transzendentalen Nihilismus“, der sich diesseits aller teleologischen Ordnungen auf die „grundlose“ Faktizität der reinen Bewußtseinstätigkeit stützt.

Der Vortrag will versuchen, vor diesem problemgeschichtlichen Hintergrund das Verhältnis von Philosophie und Kultur in Zeiten der „Wertekrise“ neu zu beleuchten und die performative Autarkie des Husserlschen Ansatzes als ideologiekritisches Gegenmodell von Rationalität zu deuten.

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Curriculum Vitae von Dr. Martina Roesner

Studium:
  • Bis 2001: Philosophie (Université Paris IV (Paris), Universität Tübingen, Pontificia Università Gregoriana (Rom), Universität Salzburg). Abschluss: Docteur en philosophie
Promotion:
  • 2001: La notion de jeu dans l'économie de la pensée de Martin Heidegger (Université Paris IV-Sorbonne)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Ecole Normale Supérieure
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Phänomenologie, Neukantianismus
  • Philosophie des 19. und 20 Jahrhunderts
  • Wirkungsgeschichte der mittelalterlichen Philosophietradition
Berufliche Stationen:
  • 2005 - 2008: Lehrbeauftragte an der Universität Mainz
  • 2007 - 2008: Postdoktorandin CNRS
Wichtigste Publikation(en):
  • Metaphysica ludens. Das Spiel als phänomenologische Grundfigur im Denken Martin Heideggers, Dordrecht, Kluwer, 2003.
  • Le laboureur de l'être. Une racine cachée de l'imaginaire philosophique heideggérien, Hildesheim, Olms, 2004.
  • Artikel "Spiel" in: Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe (erscheint voraussichtlich Juli 2008)
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