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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Professor Dr. Sonja Rinofner (Graz, A) - Curriculum Vitae
Scham und Autonomie

Abstract

Dass wir uns die Fähigkeit zuschreiben, autonom entscheiden und handeln zu können, ist, ungeachtet aller Aufklärungs- und Vernunftkritik, ein wesentlicher Bestandteil unseres Selbst¬verständnisses als vernünftiger Subjekte. Diese Wertschätzung von Autonomie bringt eine deutliche Tendenz zugunsten einer idealisierten Rationalität und Individualität zur Geltung. Letzteres ist auch daran ersichtlich, wovon sich, nach allgemeinem Konsens, ein auto¬no¬mes Handeln abgrenzt. Wer autonom handelt, handelt nicht autoritätsgläubig, nicht traditional (im Sinne des unreflektierten Übernehmens von Traditionen), nicht unter (innerem oder äußerem) Zwang, nicht impulsiv (im Sinne fehlender Überlegung), nicht bloß gewohnheitsmäßig. Die genannten Negativbestimmungen lenken unsere Aufmerksamkeit auf den, wie es scheint, nicht nur engen, sondern untrennbaren Zusammenhang von Autonomie und Reflexion. Wer autonom handelt, ist im Sinne reflexiver Selbstvergewisserung seines Tuns vornehmlich in seinen rationalen Fähigkeiten gefordert und ist eben darin „auf sich allein gestellt“.

Scham zeigt sich, so schon Aristoteles, im „geselligen Verkehr in Worten und Handlungen“ (NE, 1108a, 11). Scham ist ein sozial erlerntes, kulturell kodiertes Verhaltensmuster, das von reflektierter Vernünftigkeit maximal weit entfernt scheint. Dass einer sich für das schämt, was er tut oder (in den Augen anderer) ist, verbinden wir nicht mit dem Gedanken vernünftiger Selbstbestimmung. Im Gegenteil: Scham ist ein impulsives, reflexiv nicht zu kontrollierendes Verhalten, das Ausdruckstraditionen und Gewohnheiten unterliegt, die wir per sozialer Her¬kunft übernehmen bzw. in die wir hineinwachsen, ohne diese Lebensrealität aus einer neu¬tralen, unparteiischen Sicht auf Distanz stellen zu können. So drängt sich uns die Vermutung auf, dass solche Verhaltensweisen wie sich Schämen, weil sie einerseits auf die soziale Ab¬hängigkeit des Individuums und andererseits auf affektbedingte Grenzen unserer „Re¬flexions¬mächtigkeit“ verweisen, keinen Spielraum für Autonomieansprüche lassen; dass sie vielmehr die faktische Fremdbestimmtheit menschlichen Handelns, so wie es in alltäglichen Zusam¬menhängen auftritt, bekunden.

Als ausdrucksgebundenes Verhalten ist Scham zwar ein wesentlich körperlich realisiertes, an¬dererseits aber ein in gewisser, aufklärungsbedürftiger Weise reflexives Gefühl. Als solches ist es von Gefühlszuständen wie Trauer, Schmerz oder Lust grundlegend verschieden. Gleich¬wohl äußert sich die Reflexivität des Schamgefühls nicht darin, dass es zu einem geistigen „Heraustreten“ aus der Situation, zu einem Innehalten käme, das darauf abzielte, nach Grün¬den zu fragen, welche mögliche Handlungsorientierungen rechtfertigten. Wer sich schämt, ist in seinem Schamgefühl befangen. Während Selbstbesinnung und vernünftige Selbstbestim¬mung darauf beruhen, den unmittelbaren „Bann“ der Situation mit Hilfe eines analytischen Blicks auf diese zu brechen, ist es für die Scham gerade charakteristisch, dass dies nicht ge¬lingt. Wer sich schämt, ist nicht Herr der Situation, sondern erlebt sich als vollständig invol¬viert und ausgeliefert. Ich kann mich nicht schämen und darin souverän sein. Ist Scham ein reflexives Gefühl, so kann dieses nicht nach dem Vorbild vernunftgeleiteter Refle¬xion ver¬standen werden. Die eigentümliche Reflexivität der Scham hängt mit ihrer latenten Normati¬vität zusammen. Sich für etwas und vor jemandem zu schämen, ist Ausdruck morali¬scher Sensitivität. Schamgefühle spiegeln normative Erwartungen und Bewertungen; sie sind Be¬standteil unserer moralischen Kultur. Sich zu schämen ist zugleich Ausdruck sozialer Sen¬sitivität. Im Unterschied zu Gefühlen der Lust und der Trauer, die ich auch solus ipse haben kann, kann ich Scham nur dann empfinden, wenn ich mir einer komplexen sozialen Situation bewusst bin, ohne dass sich dieses Bewusstsein freilich in einem artikulierten Wissen bezüg¬lich bestimmter Sachverhalte manifestierte.

Im ersten Teil des Vortrags werde ich eine nähere Bestimmung der eigen¬tümlichen Reflexi¬vität von Scham¬gefühlen geben, indem ich die in sozialer und normativer Hinsicht komplexe Schamsituation einer genaueren Untersuchung unterziehe. Im zweiten Teil werde ich folgende Fragen zu be¬antworten versuchen: Ist ein – wie genau zu bestimmender, wie zu begren¬zender – Anspruch auf Autonomie verträglich damit, solchen primär gefühlshaften Verhaltensweisen wie Scham eine grundlegende Rolle in unserem sittlichen Leben einzu¬räumen? Welchen Begriff von Autonomie legen wir zugrunde, wenn wir eine diesbezügliche Unverträglichkeit behaupten? Ist Autonomie ein an bestimmte theoretische Grundentschei¬dungen gebundenes Ideal, das sich mit der le¬benswelt¬lichen Realität unserer moralischen Erfahrung nur schwer in Einklang bringen lässt? Was können wir aus einer Analyse des Phänomens der Scham im Hinblick auf eine kritische Revision herkömmlicher Auffassungen von Autonomie lernen?

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Curriculum Vitae von Professor Dr. Sonja Rinofner

Studium:
  • Bis 1991: Philosophie, Kunstgeschichte (Graz). Abschluss: Mag.
Promotion:
  • 1997: Edmund Husserls transzendentale Phänomenologie (Graz)
Habilitation:
  • 2002: Subjektivität im Spannungsfeld zwischen Naturalität und Kulturalität (Habilvortrag: Subjekt und Freiheit: Epistemischer Indeterminismus) (Graz)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Graz
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Phänomenologie
  • Praktische Philosophie (Ethik, Sozialphilosophie)
  • Philosophy of Mind
Berufliche Stationen:
  • 1998 - 2002: Univ.-Ass.
  • 2002 - 2008: Ao.Univ.Prof.
Wichtigste Publikation(en):
  • Edmund Husserl. Zeitlichkeit und Intentionalität. Karl Alber München/Freiburg 2000
  • Mediane Phänomenologie. Subjektivität zwischen Naturalität und Kulturalität. Königshausen & Neumann Würzburg 2003
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