Sektionsredner
Dr. Adolf Rami (Göttingen)
Brendels Argumente gegen den Kontextualismus des Wissens
Abstract
Kontextualistische Analysen von Wissenszuschreibungen der Form ‚S weiß, dass p’ gehen im allgemeinen davon aus, dass diese Wissenszuschreibungen kontextrelative Wahrheitsbedin-gungen haben. D.h. es hängt unter anderem davon ab, in welchem Äußerungszusammenhang ein Satz der Form ‚S weiß, dass p’ geäußert wird und welche Wissensstandards relativ zu die-sem Äußerungszusammenhang gültig sind, ob eine Satz der Form ‚S weiß, dass p’ wahr oder falsch ist. Diese Auffassung zieht unter anderem die Konsequenz nach sich, dass ein und die-selbe Wissenszuschreibung der Form ‚S weiß, dass p’ relativ zu unterschiedlichen Äuße-rungszusammenhängen unterschiedliche Wahrheitswerte haben kann.
In Brendel (2003, 2005, 2007) werden insgesamt zwei Argumente präsentiert, die darauf ab-zielen erhebliche Schwächen einer kontextualistischen Analyse von Wissenszuschreibungen der Form ‚S weiß, dass p’ zu Tage zu fördern. Brendel ist der Auffassung, dass ihre Argumen-te die folgenden Konsequenzen nach sich ziehen:
(1) Die Argumente zeigen, dass eine kontextualistische Analyse von Wissenszuschreibungen der Form ‚S weiß, dass p’ einen internen logischen Widerspruch aufweist.
(2) Die Argumente zeigen, dass der Kontextualist eine seiner zentralen Thesen selbst nicht wissen kann; nämlich die These, dass es möglich ist, dass man etwas, dass man relativ zu einem Kontext weiß, relativ zu einem anderen Kontext nicht weiß.
(3) Die Argumente zeigen, dass der Kontextualist das Wissen bezüglich der angeführten zent-ralen These weder sprachlich noch gedanklich mit Wahrheitsanspruch behaupten kann.
(4) Die Argumente zeigen, dass ein entscheidender Unterschied zwischen einem Ausdruck wie ‚wissen’ und anderen echten kontextabhängigen Ausdrücken wie ‚flach’ oder ‚groß’ besteht.
Ziel meines Vortrags wird es sein, beide angesprochenen Argumente von Brendel im Detail zu rekonstruieren, um auf dieser Grundlage zu zeigen, dass die Argumente keine der ange-führten vier Konsequenzen nach sich ziehen. Darüber hinaus soll gezeigt werden, dass die folgende Konsequenz, die sich aus Brendels Argumenten und einigen unproblematischen Zu-satzannahme tatsächlich ableiten lässt, kein wirkliches Problem für den Kontextualisten dar-stellt:
(5) Die Argumente zeigen, dass auf der Grundlage einer kontextualistischen Analyse von Wissenszuschreibungen jemand, der relativ zu einem niedrigeren Standard weiß, dass p, relativ zu einem höheren Standard nicht wissen kann, dass er relativ zu dem niedrigeren Standard weiß, dass p.
Der Kontextualist kann meiner Ansicht nach plausible Gründe dafür anführen, warum er (5) akzeptieren kann und sollte. Erstens steht die in (5) beschriebene Konsequenz in keinerlei Widerspruch zu irgendwelchen wirklich zentralen Annahmen des Kontextualismus; (aus man-chen dieser Annahmen lässt sie sich ja sogar ableiten). Zweitens kann m. E. gezeigt werden, dass diese Konsequenz entgegen dem ersten Anschein auch in keinem Gegensatz zu wesentli-chen allgemeinen Intuitionen bezüglich des Wissensbegriffs steht. Das betrifft vor allem die vage und klärungsbedürftige Intuition, dass Wissen niemals verloren gehen kann.
Brendel, Elke (2003): „Was Kontextualisten nicht wissen“, in: Deutsche Zeitschrift für Philo-sophie, 51, 1015-1032.
Brendel, Elke (2005): „Why Contextualists Cannot Know They Are Right: Self-Refuting Im-plications of Contextualism”, in: Acta Analytica, 20, 38-55.
Brendel, Elke (2007): “Kontextualismus oder Invariantismus? Zur Semantik epistemischer Aussagen“, in: Rami, A. und Wansing, H. (Hrsg.): Referenz und Realität, mentis: Paderborn, 11-37.
DeRose, Keith (2000): „Now You Know it, Now You Don’t“, in: Proceedings of the Twenti-eth World Congress of Philosophy, Vol. 5, Epistemology, 91-106.