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FAQ

Sektionsredner

Ulrike Pompe (Bochum)
Wahrnehmung in Philosophie und Wissenschaft

Abstract

Wie lässt sich das Phänomen visueller Wahrnehmung analysieren?

Bereits Thomas Reid verweist 1764 in seiner Inquiry into the Human Mind auf zwei Zugangsweisen: „the way of reflection“ - die Beschreibung, die aus der Reflexion resultiert, und „the way of analogy“- die Beschreibung in Form von konstruierten Modellen über das Funktionieren der Wahrnehmung. Bei der phänomenologischen Zugangsweise wird das Wahrnehmungserlebnis als komplexes, nicht weiter zergliederbares Phänomen beschrieben. Da in diesem Fall keine klare Trennung von kognitiven und perzeptuellen Anteilen der Wahrnehmung verlangt wird, bleibt hier unklar, wie sich das denkende Subjekt auf den Gehalt der Wahrnehmung beziehen kann, in welchem Verhältnis also kognitive zu perzeptuellen Anteilen der Wahrnehmung stehen.

Wie ist der Gehalt der Wahrnehmung zu charakterisieren? Wenn ein wahrgenommenes Objekt Gegenstand von Überzeugung und kognitiven Zuschreibungen sein kann, ist dann bereits die Erfahrung, d.h. das Wahrnehmen als solches begrifflich? Dretske spricht sich dafür aus, die sensorische Erfahrung (content of perception) als nicht-begrifflich zu charakterisieren, kognitive Repräsentationen hingegen als begrifflich.

Mit diesen Überlegungen findet ein Übergang von der bloßen phänomenologischen Beschreibungsebene zur analytischen Zergliederung der Wahrnehmung und des Wahrnehmungsbegriffs statt. Der einstellige Wahrnehmungsbegriff der Phänomenologie, bei dem das Erleben des Subjekts in den Vordergrund tritt, wird abgelöst durch einen zweistelligen Wahrnehmungsbegriff, der kognitive und perzeptuelle Anteile der Wahrnehmung trennt. Eine solche Trennung kann durch beobachtete pathologische Fälle gestörter Objektwahrnehmung gestützt werden. So unterscheidet man z.B. zwischen apperzeptiven und assoziativen Agnosien. Bei ersteren ist der Prozess des Erstellens eines visuellen Perzepts gestört, in zweitem Fall verfügen Patienten über „normale Sicht“, sind aber nicht in der Lage, mit dem Gesehenen in einem höherstufigen kognitiven Sinne umzugehen: d.h., ein Objekt zu benennen oder es in eine Kategorie einzuordnen.

Bisher blieben philosophische Analysen der Wahrnehmung der personalen Ebene verhaftet, womit sich empirische Befunde und Beobachtungen der prozessualen, subpersonalen Eben nur schlecht vereinbaren lassen. Will man aber gerade die Struktur der Vernetzung von Kognition und Perzeption besser verstehen, und sich von einem vereinfachten Verständnis der Wahrnehmung verabschieden, bei dem Wahrnehmung entweder als rein passives Aufnehmen der Umwelt oder eben als ein in seiner qualitativen Ausformung unhintergehbares Phänomen verstanden wird, dann ist eine Vereinigung beider Herangehensweisen unumgänglich.

Betrachtet man die Diversität der Funktionen der Wahrnehmungsmodalität, die Komplexität des Wechselspiels von Kognition und Perzeption, so erscheint es angebracht, vom Anspruch eines Einheitsbegriffes zurückzutreten und einem pluralistischen Wahrnehmungsbegriff – bzw. der Aufspaltung des Begriffs „Wahrnehmung“ in mehrere, im hiesigen Fall drei Komponenten Platz zu machen.

Die erste Komponente – bzw. die erste Lesart des Begriffs – umfasst das vorbewußte, modulare Prozessieren visueller Information, wie es z.B. auf dem Weg vom Auge bis zum inferotemporalen Cortex zu beschreiben ist. Hier gilt es zuerst zu klären, wie die basalen Prozesse der Wahrnehmung ablaufen, wie visuelle Information prozessiert wird, welche Hirnareale daran beteiligt sind und welche Effekte Läsionen nach sich ziehen.

Darauf folgt eine Stufe des bewussten visuellen Erlebnisses von dreidimensionalen Objekten im egozentrischen Bezugsrahmen des Subjekts. Hier muss herausgearbeitet werden, welche Mechanismen für den Abgleich von im Gedächtnis gespeicherten Dingen verantwortlich sind, wie Objekte kategorisiert, verallgemeinert, und gleichzeitig wieder individuiert werden können, und wie man sich die entsprechende Repräsentationsart vorstellen kann.

Die dritte Komponente umfasst höherstufige kognitive Leistungen. Aufgabenspezifische, neuronale Netzwerke werden aktiviert, und stimuli-unabhängige Objektrepräsentationen dienen unterschiedlichen kognitiven Leistungen wie Assoziationen, Vorstellungsvermögen, zielgerichtetem Verhalten, dem Formen von Überzeugungen und Meinungen, und dem Planen komplexer Handlungen.

Aus empirischer Richtung gilt es also Modelle über den Aufbau des gesamten Gehirns, über die Funktion und das Zusammenspiel einzelner Areale zu entwickeln; es gilt herauszufinden, welche Mechanismen unser Verhalten steuern und welche dem Denken dienen; wie Sprache die Entwicklung beeinflusst und umgekehrt. Auf der philosophischen Seite besteht der Auftrag, klare Begriffe und Fragen zu formulieren, die eine Strukturierung des Komplexes „Wahrnehmung“ erlauben. Der Phänomenologie kann dabei immer noch die Aufgabe einer bestmöglichen Beschreibungsart zukommen, an der sich die entwickelten empirischen Modelle prüfen lassen müssen.

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