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Sektionsredner

Saskia K. Nagel, M.A. (Osnabrück) - Curriculum Vitae
Zu viel des Guten? – Enhancement und die Last der Selbstbestimmung

Abstract

Enorme Entwicklungen in den Naturwissenschaften führen zur Ausweitung der Verfügungsmöglichkeiten über das Leben. Der Autonomiezuwachs, der in den letzten Jahren in nahezu allen Lebensbereichen zu verzeichnen ist, wird zumeist als Fortschritt zum Wohle des Einzelnen propagiert: Jeder kann sein Leben nach eigenen Wertvorstellungen gestalten, und mehr Gestaltungsspielraum sollte zu mehr Wohlbefinden führen. Diese Überlegung aus Psychologie und Ökonomie spiegelt sich in der Medizinethik wider in einer zunehmenden Dominanz der ethischen Leitidee des Respekts der Autonomie des Individuums gegenüber dem traditionellen, auf dem Heilauftrag des Arztes basierenden Fürsorgeprinzip.

Ich argumentiere, dass die Ausweitung der Verfügungsmöglichkeiten über das eigene Leben zusammen mit der zunehmenden Individualisierung von Wertesystemen den Menschen in Entscheidungssituationen bringt, die ihn überfordern können. Ich werde diese Annahme im Rahmen der Debatte um das sogenannte “Enhancement“ diskutieren. Enhancement Maßnahmen sind Interventionen zur Steigerung von Leistungen und Wohlbefinden Gesunder, d.h. außerhalb medizinischer Indikationen. In den letzten Jahren wächst der Markt der “Enhancement” Mittel stetig. Für viele Einschränkungen, denen wir von Natur aus ausgeliefert sind, scheint Abhilfe in Sicht zu sein: Psychopharmakologie und Neurotechnologien versprechen Erleichterung von unzufriedenstellenden Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen, von Stimmungstiefs, vom Gefühl mangelnden Selbstvertrauens und von sozialen Ängsten.

Wir können wählen, wie wir sein wollen. Wird damit ein Menschheitstraum wahr? Wie belastungsfähig ist die Selbstbestimmung über das eigene Leben? Sind wir in der Lage, zu entscheiden, welche Art von Erinnerung, Stimmung, oder Leistung wir haben wollen, oder überfordert uns die Chance zur nahezu grenzenlosen Selbstbestimmung? Angesichts der Möglichkeiten, Körper und Geist zu manipulieren, muss sich der Mensch ständig in Frage stellen. Er muss überprüfen, ob er etwas, das nun veränderbar ist, an sich verändern möchte, und er muss Gründe für seine Entscheidung angeben können. Immer weniger unveränderbare Merkmale und Eigenschaften lassen die Optionenvielfalt ins Unüberblickbare steigen – es wird vom Menschen erwartet, dass er sich selbst erfindet und gestaltet. Genauso, wie der Mensch einerseits nach Weiterentwicklung und Selbsttranszendenz strebt, ist er aber auf der anderen Seite darauf bedacht, seine Identität zu wahren und Kerneigenschaften nicht zu verändern.

Die Verantwortung zur autonomen Selbstgestaltung kann zur Last werden. Folglich ist zur Gewährleistung von Wohlergehen und Lebensqualität von einer Verabsolutierung von Autonomie abzuraten. Stattdessen ist eine Balance zwischen den traditionellen Prinzipien der Fürsorge und des Respekts der Selbstbestimmung anzustreben. Selbstverständlich darf der Respekt vor Autonomie als Leitidee und Schutzrecht nicht gefährdet werden. Meine Position stellt sich jedoch gegen jene, die den Respekt der Autonomie mit einer Rigorosität vertreten, die den Bedürfnissen und Eigenheiten der Menschen nicht gerecht wird. Aus dem moralischen Gut sollte keine „moralische Obsession“ werden, welche nur noch um ihrer selbst willen agiert.

Es wird praktisch kaum möglich sein, den Menschen vor der Optionenvielfalt, die ihn belasten kann, wirkungsvoll zu schützen, indem man die Möglichkeiten und Angebote generell reduziert. Weder übereilte Restriktionen noch enthusiastisches Öffnen aller Möglichkeiten erlauben das notwendige, sorgsame Abwägen von Verantwortlichkeiten. Wer braucht wann die Unterstützung anderer? Wem helfen welche Einschränkungen von Optionen? Wie kann der Gestaltungsspielraum so eingegrenzt und kommuniziert werden, dass die positiven Aspekte der Wahlfreiheit zum Tragen kommen und eine Überforderung verhindert wird? Die Frage danach, wie viele Optionen für das Individuum handhabbar und seinem Wohlergehen zuträglich sind, ist auch eine empirische. Es gilt, herauszufinden, ab wann eine Überlastung durch Optionen entsteht, und bis wohin die Wahlmöglichkeiten noch zu einer positiv empfundenen Selbstbestimmung, die auch tatsächlich realisiert werden kann, führen. Es ist anzunehmen, dass es sowohl interindividuelle Unterschiede als auch Differenzen in verschiedenen Bereichen (z.B. je nach persönlicher Bedeutung der Entscheidung) gibt. Ein pragmatischer Ansatz, diese Gratwanderung zu meistern, ist die Realisierung eines Diskurses, der eine tragfähige Basis für Entscheidungen bilden kann.

Ich werde praktische Konsequenzen für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem expandierenden Feld der Enhancement Eingriffe aufzeigen und für einen umsichtigen Dialog der Beteiligten eintreten. Dieser erkennt an, dass auch autonome Individuen nicht vollständig rational handeln und somit von einer Umgebung der Fürsorge und der geteilten Verantwortlichkeit profitieren können.

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Curriculum Vitae von Saskia K. Nagel, M.A.

Studium:
  • Bis 2006: Cognitive Science, Philosophie (Osnabrück; Rutgers (NJ, USA)). Abschluss: M.Sc.
Promotion:
  • 2008: Neuroethik (Osnabrück)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Osnabrück
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Ethische, soziale und legale Konsequenzen neurowissenschaftlichen Fortschritts
  • Sensorisches Enhancement - Empirie und Theorie
  • Uni- und multimodale Verarbeitung natürlicher Stimuli
Wichtigste Publikation(en):
  • Nagel, S.K., Carl, C., Kringe, T., Märtin, R. & König. P. (2005): Beyond sensory substitution – learning the sixth sense. Journal of Neural Engineering 2, R13-R26.
  • Nagel, S.K. (2006): Coherence of human EEG Signals during crossmodal integration of natural stimuli. Publications of the Institute of Cognitive Science, University of Osnabrück, Volume 9-2006.
  • Nagel, S.K. & Stephan, A. (in press): Was bedeutet Neuro-Enhancement? Potentiale, Konsequenzen, ethische Dimensionen, In: Schöne-Seifert, B., Ach, J. & D. Talbot (eds.): Neuro-Enhancement. Ethik vor neuen Herausforderungen. Paderborn: Mentis.
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