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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Dr. Corinna Mieth (Bonn) - Curriculum Vitae
Positive und negative Pflichten in Bezug auf das Weltarmutsproblem

Abstract

In der gegenwärtigen philosophischen Debatte um das Weltarmutsproblem ist der Stellenwert von positiven Pflichten umstritten. Während Peter Singer die revisionäre normative These vertritt, dass es starke individuelle Hilfspflichten gegenüber allen Bedürftigen gibt, ist Thomas Pogges revisionäre These empirisch: Er ist der Meinung, dass unsere Armutsbekämpfungspflichten primär negativ sind. Wir müssen die Armen dafür kompensieren, dass wir durch das Beitragen zu und Profitieren von einer ungerechten Weltordnung negative Pflichten verletzen, indem wir die Armen schädigen. Dabei hält Pogge an der vor allem unter Kantianern verbreiteten normativen These fest, dass negative Pflichten verbindlicher sind als positive. (Prioritätsthese)

In meinem Beitrag will ich mich insbesondere mit der Prioritätsthese auseinandersetzen. Ich glaube, dass diese These falsch ist, wenn man von naheliegenden Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen positiven und negativen Pflichten ausgeht. Diese können einen normativen Vorrang negativer Pflichten nicht begründen. Mein Alternativvorschlag lautet, den Vorrang von Gerechtigkeitspflichten vor Wohltätigkeitspflichten gütertheoretisch zu begründen.

Zunächst betrachte ich zwei naheliegende und verbreitete Unterscheidungsmöglichkeiten von positiven und negativen Pflichten:

(H) Handlungstheoretisch: Positive Pflichten fordern ein Tun von uns, negative Pflichten

fordern ein Unterlassen.

(K) Konsequentialistisch: Positive Pflichten richten sich auf eine Verbesserung des Zustands der behandelten Person, negative Pflichten richten sich auf eine Nichtverschlechterung des Zustands der behandelten Person.

Vertreter der Prioritätsthese gehen meistens davon aus, dass die Unterscheidungen deckungsgleich sind. Ferner glauben sie, dass Nichtverschlechterung Priorität vor Verbesserung hat und folglich Unterlassungspflichten Vorrang vor Handlungspflichten haben. Dagegen ist zweierlei zu sagen. Erstens sind die Unterscheidungen keineswegs deckungsgleich. Die handlungstheoretische Unterscheidung ist konsequentialistisch unterbestimmt. Handlungspflichten können sich sowohl auf die Nichtverschlechterung der Situation des Behandelten (etwa bei Erfüllen eines Vertrages) als auch auf eine Verbesserung der Situation des Behandelten (etwa bei Nothilfe) beziehen. Umgekehrt ist die konsequentialistische Unterscheidung handlungstheoretisch unterbestimmt. Wir können nämlich durch Unterlassen den Zustand anderer verschlechtern. Dies gilt insbesondere bei Garantenpflichten: Eltern, Ärzte und Bademeister können durch die Nichterfüllung von Handlungspflichten andere schädigen. Wir können aber auch durch Unterlassen (z.B. der Einforderung von geliehenem Geld) die Situation anderer verbessern. Man muss also, zweitens, die Prioritätsthese vom handlungstheoretischen Verständnis positiver und negativer Pflichten abkoppeln. Ferner muss man Pflichten, die sich aus Verträgen oder Garantenstellungen, so wie sonstigem Vorverhalten ergeben, von vorverhaltensunabhängigen Pflichten (wie z.B. Nothilfepflichten) unterscheiden.

Im zweiten Teil möchte ich eine gütertheoretische Präzisierung von (K) vorschlagen. Verbesserungen, die sich auf notwendige Güter beziehen, können Priorität vor Nichtverschlechterungen haben, die sich auf nichtnotwendige Güter beziehen. Ich verteidige die These, dass es starke vorverhaltensunabhängige positive Pflichten gibt, die sich auf notwendige Güter beziehen. Ferner werde ich die These vertreten, dass diese positiven Pflichten Gerechtigkeitspflichten sind, deren Erfüllung wir anderen schulden. Wenn man diesen Vorschlag akzeptiert, dann gibt es Handlungspflichten, die Gerechtigkeitspflichten sind und Unterlassungspflichten, die Wohltätigkeitspflichten sind und umgekehrt. Ferner gibt es Gerechtigkeitspflichten, die wir anderen aufgrund von Verträgen oder Vorleistungen schulden, so wie Gerechtigkeitspflichten, die wir anderen bloß aufgrund ihres Menschseins schulden (z.B. Nothilfepflichten oder Solidaritätspflichten).

Auch Pflichten gegenüber denen, die in absoluter Armut leben, können dann durchaus als starke positive Gerechtigkeitspflichten verstanden werden. Allerdings ist es nicht naheliegend, diese Pflichten wie Singer als individuelle Nothilfepflichten zu konzipieren. Vielmehr ist Pogges Diagnose zuzustimmen, dass die globale institutionelle Ordnung ungerecht ist, sofern in ihr vermeidbarer Weise (soziale) Menschenrechte unerfüllt bleiben. Doch dies ist nicht, wie Pogge behauptet, nur deswegen der Fall, weil negative, sondern auch, weil positive Gerechtigkeitspflichten verletzt werden.

Literatur:

Pogge, Thomas, World Poverty and Human Rights, Cambridge: Polity Press 2002.

- Severe Poverty as a Violation of Negative Duties (Reply to the Critics), in Ethics and International Affairs Vol. 19 (2005), 55-83.

Singer, Peter, Famine, Affluence and Morality, Philosophy and Public Affairs 1 (1972), 229-43.

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Curriculum Vitae von Dr. Corinna Mieth

Studium:
  • Bis 1999: Philosophie, Germanistik (Tübingen). Abschluss: MA
Promotion:
  • 2002: Das Utopische in Literatur und Philosophie (Tübingen)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Universität Bonn
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Politische Philosophie, Weltarmut, Globale Gerechtigkeit
  • Moralphilosophie, Positive Pflichten
  • Ästhetik
Berufliche Stationen:
  • 2001 - 2003: Wissenschaftliche Mitarbeiterin
  • 2003 - 2010: wissenschaftliche Assistentin
  • 2007 - 2008: Research Fellow
Wichtigste Publikation(en):
  • World Poverty as a Problem of Justice? A Critical Comparison of Three Approaches, in Ethical Theory and Moral Practice 11 (1) 2008, 15-37.
  • Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Kommentar von Christoph Horn, Corinna Mieth und Nico Scarano, Frankfurt a.M. 2007.
  • Das Utopische in Literatur und Philosophie, Tübingen 2003.
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