Sektionsredner
Cornelis Menke (Bielefeld) - Curriculum Vitae
Der Begriff der „Vorhersage eines neuartigen Phänomens“ und Tests des Prädiktivismus
Abstract
Erfolgreiche Vorhersagen neuartiger Phänomene durch eine Theorie spielen in der Wissenschaftstheorie in verschiedenen Diskussionen eine zentrale Rolle; so fußt, um nur ein Beispiel zu nennen, eine Variante des sogenannten Wunderarguments für wissenschaftlichen Realismus auf solchen Vorhersagen. Die gegenwärtige Diskussion kreist um zwei Fragen: einmal die normative, ob erfolgreiche Vorhersagen überhaupt eine solche Aufmerksamkeit verdienen sollten, wie sie sie erfahren; andererseits die deskriptive Frage, ob und wie der wissenschaftsgeschichtliche Befund mit den theoretischen Ansichten in Einklang zu bringen ist.
Der Vortrag behandelt die Frage, wieweit der Begriff der „Vorhersage eines neuartigen Phänomens“ sich explizieren läßt und welche Implikationen die Explikation für die Tests des Prädiktivismus haben, also der Annahme, solche Vorhersagen hätten einen methodologischen Wert.
Im ersten Teil soll der Begriff der „Vorhersage eines neuartigen Phänomens“ diskutiert werden. Zwar gibt es eine alte Diskussion um die Explikation dieses Begriffs, doch konzentriert diese sich auf den Begriff der „Neuartigkeit“ (novelty). Größere Schwierigkeiten macht allerdings der Begriff des „Phänomens“, der in diesem Kontext kaum diskutiert wurde. Es soll gezeigt werden, daß die Unbestimmtheit des Phänomenbegriffs kein Problem ist, das man in der Praxis vernachlässigen könnte; das Verständnis des Begriffs ist weitgehend intuitiv, und diese Intuitionen können sehr trügerisch sein: Das Beispiel der Vorhersage des „Poissonsches Flecks“ soll zeigen, wie weit die intuitiven Urteile auseinanderliegen können: Während der Poissonsche Fleck in der Wissenschaftstheorie das Beispiel einer bemerkenswerten Vorhersage ist, haben Physiker ihm kaum je besondere Beachtung geschenkt. Ein wesentliches Ergebnis dieses ersten Teils ist, daß der Begriff des „neuartigen Phänomens“ notwendig vage ist.
Im zweiten Teil werden die Implikationen betrachtet, die insbesondere die Vagheit des Begriffs der neuartigen Vorhersage für die Testbarkeit der Annahme eines methodologischen Werts von Vorhersagen hat. Dabei soll besonders die Möglichkeit zufälliger Bestätigungen von Vorhersagen berücksichtigt werden. Im Fall von erfolgreichen Vorhersagen neuartiger Phänomene kann die Übereinstimmung von theoretischer Voraussage und Experiment nicht durch einen Anpassungsprozeß erklärt werden; dennoch besteht immer noch die Möglichkeit, daß sich die Übereinstimmung zufällig ergibt, es sich um einen glücklichen Zufall handelt. Wenn dies der Fall ist, können Vorhersagen schwerlich die Bedeutung haben, die ihnen zugeschrieben werden. Das wesentliche Argument dafür, daß der Erfolg von Vorhersagen in der Wissenschaft sich als Zufall deuten lasse, verweist auf die immense Anzahl von Theorien, die entweder gar keine Vorhaussagen machen oder aber keine erfolgreichen. Angesichts der großen zahl solcher Theorien sei es zu erwarten, daß manche Voraussagen sich zufällig bewahrheiteten. Die Tragweite dieses Einwands abzuschätzen, ist schwierig; das wesentliche Problem besteht darin, daß weder die Zahl erfolgloser Theorien bzw. Vorhersagen sich auch nur groß abschätzen ließe, noch, wenn man sie kennte, man wüßte, welches Verhältnis von erfolgreichen und erfolglosen Vorhersagen bzw. Theorien sich noch durch Zufall erklären ließe und welches nicht.
Die These des Vortrags ist, daß sich sowohl dieses Problem als auch das Problem der Vagheit des Phänomenbegriffs sich zugleich lösen läßt, wenn man die Verteilung erfolgreicher Vorhersagen auf konkurrierende Theorien betrachtet. Wären erfolgreiche Vorhersagen Zufallsresultate, würde man auch eine zufällige Verteilung der Erfolge erwarten, sonst hingegen nicht.
Curriculum Vitae von Cornelis Menke
- Bis 2002: Philosophie, Altgriechisch, Physik (Humboldt-Universität zu Berlin). Abschluss: M.A.
- 2007: Zum methodologischen Wert von Vorhersagen neuartiger Phänomene (Universität Bielefeld)
- Universität Bielefeld
- Wissenschaftstheorie
- Antike Philosophie
- 2006: Postdoc, Graduiertenkolleg 724