Sektionsredner
Professor Dr. Christoph Lumer (Siena, I) - Curriculum Vitae
Ethische Argumentationen
Abstract
Ziel des Vortrags ist, einen Beitrag zu leisten zu einer Theorie gültiger und adäquater ethischer Argumentationen, und zwar metaethischer und kriteriologisch-ethischer (oder normativ-ethischer) Argumentationen. Dabei sollen u.a. Ergebnisse der allgemeinen Argumentationstheorie für die ethische Reflexion fruchtbar gemacht werden.
In der allgemeinen Argumentationstheorie gibt es drei grundlegende theoretische Ansätze: 1. den rethorischen; 2. den konsenstheoretischen; und 3. den erkenntnistheoretischen, nach dem das Ziel von Argumentationen ist, eine Erkenntnis im starken Sinne zu erzeugen. Die Philosophie ist traditionell, seit Sokrates und Platon, eher dem erkenntnistheoretischen Ansatz verpflichtet, weil dieser auf Wahrheit zielt. Dieser Ansatz wird auch hier zugrunde gelegt. Im erkenntnistheoretischen Ansatz ist die Funktionsweise von Argumentationen geklärt worden; und es sind präzise Kriterien für diverse Argumentationstypen entwickelt worden, u.a. deduktive Argumentationen, praktische Argumentationen für Werturteile. Darauf kann eine Theorie der ethischen Argumentationen zurückgreifen. Die wichtigste offene Frage für eine solche Theorie ist dann: Welche Arten von Thesen sollen in der Ethik eigentlich begründet werden?
Eine triviale Antwort auf diese Frage ist: Begründet werden sollen Thesen der Art: '(Zur Zeit t in der Situation l) ist es moralisch geboten, a zu tun'; 'Allgemein ist es in Situationen vom Typ L geboten, Handlungen vom Typ A zu tun'; 'x hat die moralische Wünschbarkeit y' etc. Die völlige Unklarheit des Prädikats 'ist geboten' bzw. des Funktionsterms 'moralische Wünschbarkeit' verweist dann auf die übliche Hierarchie ethischer Theorien, in denen u.a. der Sinn solcher Terme geklärt werden soll.
Während die Hauptstratifikation der Ethik - in: 1. Metaethik, 2. kriteriologische oder normative Ethik, in der moralische Prinzipien, d.h. Kriterien für moralische Gebote und Bewertungen, entwickelt und begründet werden, und 3. angewandte Ethik - noch relativ unproblematisch ist, liefert aber schon die Einteilung und Systematik der Metaethik selbst erhebliche Schwierigkeiten. Wichtige Subdisziplinen bzw. Fragen der Metaethik sind:
1.1. Was ist die Bedeutung moralischer Urteile?
1.2. Was für ein Typ von Theorie ist die (kriteriologische und Meta-)Ethik?
1.3. Welche Methode ist in der kriteriologischen Ethik anzuwenden? Wie kann man Thesen der kriteriologischen Ethik begründen?
1.4. Welchen ontischen Status haben moralische Phänomene?
1.5. Welchen erkenntnistheoretischen Status haben moralische Urteile?
1.6. Welchen Sinn hat Moral?
Der Zusammenhang all dieser Fragen und Teildiskurse in der Metaethik ist nicht klar. Im Vortrag wird dafür argumentiert werden, daß sich von den Fragen 1.6 (Sinn der Moral) und 1.2 (Theorietyp der Ethik) aus eine systematische Ordnung all dieser Fragen ergibt.
In einer Untersuchung von Theorietypen in der Philosophie (Lumer 1989) habe ich drei Haupttypen nach der Art der von ihnen aufgestellten Hypothesen unterschieden:
deskriptiv-nomologische Theorien, die empirische Gesetzmäßigkeiten ermitteln (heutzutage meist als Theoretisierungen auf der Basis von Resultaten empirischer Wissenschaften);
idealisierend-hermeneutischen Theorien, die den idealen praktischen Sinn bestimmter menschlicher Konstrukte rekonstruieren und praktisch begründen;
praktisch-technische Theorien, die (intellektuelle, kognitive etc.) Instrumente (im weitesten Sinne) erfinden oder weiterentwickeln und die vorgeschlagenen Konstrukte praktisch (möglichst als optimal) begründen.
Idealisierend-hermeneutische Theorien sind häufig mit praktisch-technischen verbunden.
Die Frage nach dem Sinn der Moral (1.6) sollte in einer idealisierend-hermeneutischen (eventuell überleitend zu einer praktisch-technischen) Theorie beantwortet werden. Die Antwort auf diese Frage liefert dann den Ausgangspunkt für eine praktisch-technische Konzeption der kriteriologischen Ethik (Antwort auf Frage 1.2), in der es darum geht, gute Instrumente zur Realisierung dieses Sinns von Moral zu entwickeln. Die Antworten auf die anderen Fragen der Metaethik ergeben sich dann einigermaßen direkt. Mit diesen Ergebnissen kann auch die Frage nach dem Thesentyp ethischer Argumentationen beantwortet werden.
In dem Vortrag soll es weniger um die materialethische Durchführung dieses Programms als um die methodischen Überlegungen gehen. Deshalb wird abschließend nur kurz skizziert werden, wie eine Antwort auf die beiden grundlegenden Fragen aussehen könnte (soziale Moral als soziale Wertbasis, altruistische Kooperation ...). Daneben kann aber in einer weiteren Anwendung der entwickelten Methodologie gezeigt werden, daß ein intuitionistischer Ansatz in der kriteriologischen Ethik und ein realistischer Ansatz im ontologischen Teil der Metaethik nicht nur Reliabilitätsbedingungen erkenntnistheoretischer Begründungsansätze verletzen, sondern auch keine guten Antworten auf die Frage nach dem Sinn von Moral geben können.
Curriculum Vitae von Professor Dr. Christoph Lumer
- Bis 1980: Philosophie, Soziologie, Geschichte (Münster, Berlin (FU), Bologna). Abschluss: M.A.
- 1986: Praktische Argumentationstheorie - Theoretische Grundlagen, praktische Begründung und Regeln wichtiger Argumentationsarten (Münster)
- 1993: Rationaler Altruismus. Eine prudentielle Theorie der Rationalität und des Altruismus (Osnabrück)
- Università degli Studi di Siena
- Ethik: Metaethik, normative Ethik, angewandte Ethik (Umweltethik, Zukunftsethik, Bioethik ...)
- Handlungstheorie und Rationalitätstheorie
- Argumentationstheorie
- 1993 - 1999: Hochschuldozent für Philosophie Universität Osnabrück
- 1999 - 2001: Gastprofessor für Philosophie Universität Siena
- 2002 - heute: Professor für Moralphilosophie Universität Siena
- Praktische Argumentationstheorie. Theoretische Grundlagen, praktische Begründung und Regeln wichtiger Argumentationsarten. Braunschweig 1990
- Rationaler Altruismus. Eine prudentielle Theorie der Rationalität und des Altruismus. Osnabrück 2000.
- The Greenhouse. A Welfare Assessment and Some Morals. Lanham, MA; Oxford 2002.