Sektionsredner
Dr. Johannes Lenhard (Bielefeld)
Der Holismus bei der Validierung von Klimamodellen
Abstract
In meinem Vortrag möchte ich zwei zentrale Thesen diskutieren, die den Umgang mit komplexen Computermodellen, und zwar hier speziell mit Klimamodellen, betreffen.
Die erste These handelt vom Bestätigungs-Holismus bei der Validierung von Klimamodellen. Aktuell gibt es große Bemühungen der Klimawissenschaft auf internationaler Ebene, die verschiedenen Simulationsmodelle des Klimas miteinander zu vergleichen, um die jeweiligen Stärken und Schwächen zu analysieren und daraufhin zu weiteren Verbesserungen der Modelle zu kommen. Wie ich zeigen werde, können die komplexen Modelle jedoch nicht mehr analytisch durchschaut werden, weshalb es für die Forscher praktisch unmöglich geworden ist, die verschiedenen relativen Stärken und Schwächen unterschiedlichen Modellierungsannahmen zuzurechnen.
Der Holismus ist eine in der Wissenschaftsphilosophie bekannte These, die mit den Namen von Duhem und Quine verbunden wird. Sie besagt, dass Hypothesen nicht in Isolation getestet werden können, sondern dass solche Tests immer auch von Theorien und weiteren Hypothesen abhängen. Nur die Gesamtheit dieser Theorien und Hypothesen kann empirisch geprüft werden. Im Gegensatz zu dieser logischen Auffassung des Holismus ist das Problem, das in der Klimaforschung auftritt, weder logischer Natur, noch betrifft es überhaupt die Rolle von Hypothesen und Zusatzannahmen. Man hat es vielmehr mit einem Holismus zu tun, der durch die komplexe Interaktion der Modellkomponenten entsteht, die es unmöglich macht, diese Komponenten einzeln zu beurteilen – einem praktischen Holismus also, der nicht aus der Logik, sondern eher aus der Technologie der Simulation entsteht.
Damit komme ich zur zweiten These, die im „entrenchment“ (auf deutsch etwa: Verwurzelung) eine Ursache für den diagnostizierten Holismus behauptet. Die einzelnen Modellkomponenten nämlich interagieren nicht nur auf eine komplexe Weise, sondern haben auch selbst bereits eine komplexe Modellierungs-Historie. Beides, die Abstimmung der einzelnen Module und der Interaktion, erfordert in der Regel umfangreiche technische Maßnahmen, die erhebliche anteile des Programmcodes ausmachen. Dadurch reichern sich instrumentelle und an der Performanz orientierte Elemente an, wie zum Beispiel die im Informatik-Jargon sogenannten „kludges“ – theoretisch unmotivierte Softwareabschnitte, durch die die Performanz (irgendwie) verbessert wird. Diese und ähnliche artifizielle Elemente, zunächst heuristisch und vorläufig eingeführt, lassen sich jedoch später meist nicht mehr eliminieren. Dadurch werden die Modelle auf interessante Weise, nämlich ganz ähnlich den komplexen Organismen der biologischen Evolution, zu Produkten ihrer eigenen Entstehungsgeschichte.
Der Vortrag stützt sich auf gemeinsame Arbeiten mit Eric Winsberg, zu denen ein Aufsatz: „Holism and Entrenchment in Climate Model Validation“ im Entstehen begriffen ist.