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Sektionsredner

David Lauer, M.A. (Berlin) - Curriculum Vitae
Die Interdependenz von Sprache, Wahrnehmung und Handeln: Wittgenstein als Philosoph der Lebenswelt

Abstract

Mit dem Begriff der Lebenswelt werden in der Regel mindestens drei wesentliche Aspekte verbunden: Erstens, die Lebenswelt ist eine Welt intersubjektiven, kommunikativ geteilten menschlichen Sinns – nicht ein blindes, von Normativität und Bedeutung gereinigtes Environment. Zweitens, die Lebenswelt ist eine konstitutiv auf ein Subjekt möglicher Wahrnehmung bezogene Welt – eine Welt, in der Dinge und Ereignisse als schön, grausam oder liebenswert schlicht erfahren werden können, und dies nicht weniger direkt als solche Dinge und Ereignisse, die quadratisch oder metallen sind. Drittens, die Lebenswelt ist das Universum unhinterfragter habitualisierter Selbstverständlichkeiten, die sich im Handeln zeigen, das Sinnfundament menschlicher Praxis.

Die These meines Beitrags ist, dass sich die Philosophie des späten Wittgensteins – der den Ausdruck »Lebenswelt« nicht verwendet hat – in allen drei Aspekten als eine Philosophie der Lebenswelt verstehen lässt. Insbesondere geht es mir darum zu zeigen, dass die von Wittgenstein zur Geltung gebrachten Interdependenzen zwischen sprachlichem Sinn, Handeln und Wahrnehmung wesentlich enger sind, als dies gängigerweise gesehen wird. Mein Ziel ist, Wittgensteins Nähe zu entsprechenden phänomenologischen und hermeneutischen Philosophien herauszustellen und dadurch einen Dialog anzuregen. Dies geschieht durch die enge Auslegung zentraler Passagen aus Wittgensteins Spätwerk in ständigem Blickkontakt mit der jüngeren Forschung. Im einzelnen werde ich für die folgenden drei Thesen argumentieren, die nach aufsteigender Umstrittenheit angeordnet sind, weswegen ich auf die erste am wenigsten, auf die letzten beiden am meisten Zeit verwenden werde:

(A) Die Interdependenz von Sprache und Handeln: Die menschliche Welt ist einerseits, Wittgenstein zufolge, eine durch und durch sprachlich erschlossene Welt. Andererseits jedoch ist sprachliches Verstehen konstitutiv verschränkt mit einem irreduzibel praktischen Weltverständnis, das nicht auf theoretischer Weltbeobachtung, sondern auf handelnder Weltvertrautheit beruht, wird doch »das Sprachspiel« geradezu definiert als »das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist« (PU, § 7). Die in der sprachlichen Praxis konstituierten Begriffe sind von der im Handeln erschlossenen und sinnlich erfahrenen Welt her bestimmt. (Nichts ist darum verkehrter, als Wittgenstein einen linguistischen Idealismus zu unterstellen.)

(B) Die Interdependenz von Sprache und Wahrnehmung: Wittgensteins viel kommentierte Ausführungen zum Aspektsehen sind, so meine These, in direktem Zusammenhang mit seiner Sprachphilosophie zu lesen. Erstens begreift Wittgenstein die Initiation in sprachliche Praktiken als Transformation unserer sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten: Welche Erfahrungen jemand machen kann, hängt mit den Begriffen zusammen, die in seiner Erfahrung angesprochen werden können. Wie die Welt mir begegnet – wie sie sich für mich anfühlt, anhört, aussieht – bleibt nicht unbeeinflusst von den sprachlich konstituierten begrifflichen Verständnissen und Überzeugungen, die ich von der Welt gewinne. Zweitens jedoch begreift Wittgenstein das »etwas als etwas« Sehen- bzw. Hörenkönnen als irreduzibles Moment sprachlichen Verstehens selbst: das »Wort in dieser Bedeutung hören« zu können (PU, § 534) ist ein wesentliches Moment lebensweltlicher sprachlicher Praxis, das deren Selbstverständlichkeit und Reibungslosigkeit ermöglicht.

(C) Die Interdependenz von Wahrnehmung und Handeln: Die Ausführungen zum Aspektsehen umfassen jedoch noch ein weiteres, wenig beachtetes Moment. In Übereinstimmung mit phänomenologischen Autoren wie Husserl und Merleau-Ponty betont Wittgenstein, dass die lebensweltliche Vertrautheit mit der Welt nicht nur auf einer sprachlichen, sondern auch auf einer leiblich-praktischen Komponente beruht: auf der Schulung leiblicher Wahrnehmungsfähigkeiten. Wittgenstein spricht in diesem Zusammenhang von »Techniken« der Wahrnehmung (vgl. PU, Teil II, xi § a107.1). Die Entwicklung immer feinerer Sensibilitäten für Aspekte der Welt im Rahmen des Sicheinrichtens in der Lebenswelt ist das Ergebnis eines interdependenten Ineinanders sprachlicher und leiblicher Schulung.

Auswahlliteratur:

Luntley, Michael: Wittgenstein, Meaning and Judgement. Oxford 2003.

Medina, José: The Unity of Wittgenstein's Philosophy. Necessity, Intelligibility, Normativity. Albany 2002.

Mulhall, Stephen: On Being in the World. Wittgenstein and Heidegger on Seeing Aspects. London, New York 1990.

Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Kritisch-genetische Edition. Frankfurt/Main 2001.

Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie (Werkausgabe, Band 7). Frankfurt/Main 1984.

Wittgenstein, Ludwig: Über Gewißheit (Werkausgabe, Band 8). Frankfurt/Main 1984.

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Curriculum Vitae von David Lauer, M.A.

Studium:
  • Bis 1999: Philosophie, Soziologie, Religionswissenschaft (Philips Universität Marburg, Freie Universität Berlin). Abschluss: M.A.
Promotion:
  • 2007: Die Sinnlichkeit der Sprache (Freie Universität Berlin)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Philosophie der Sprache (Analytische Philosophie, Hermeneutik, Strukturalismus)
  • Philosophie der Kultur und des Sozialen
  • Wittgenstein
Berufliche Stationen:
  • 2002 - heute: Wissenschaftlicher Mitarbeiter, FU Berlin
  • 2003 - 2004: Wissenschaftlicher Mitarbeiter, JLU Gießen
  • 2006 - 2007: Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Hildesheim
Wichtigste Publikation(en):
  • In der Welt der Sprache. Konsequenzen des semantischen Holismus (zus. mit Georg W. Bertram, Jasper Liptow, Martin Seel), Frankfurt/Main: Suhrkamp 2008.
  • Die Artikulation der Welt (hrsg. zus. mit Georg W. Bertram, Jasper Liptow, Martin Seel), Frankfurt/Main: Humanities 2006.
  • Medientheorien. Eine philosophische Einführung (hrsg. zus. mit Alice Lagaay), Frankfurt/Main, New York: Campus 2004.
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