Sektionsredner
Professor Dr. Christian Krijnen (Amsterdam, NL)
Soziales Begreifen
Abstract
Das Phänomen des Managements und der Organisation (M&O) ist eines der ins Auge springenden unserer modernen, ‚industrialisierten‘, Gesellschaft: unser soziales Umfeld wird durch es in ganz erheblichem Maß bestimmt. Moderne Gesellschaften sind auch dadurch gekennzeichnet, daß in ihnen eine Vielzahl von Organisationen wirksam sind, die höchst unterschiedlichen Aufgaben zu erfüllen suchen.
So wundert es nicht, daß es nicht nur eine umfangreiche M&O-Forschung gibt (gleich ob unter diesem disziplinären Titel oder innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, Soziologie und Psychologie). Zugleich gibt es zu dieser Forschung eine sie begleitende ‚Grundlagendebatte‘ (‚meta-theoretical debate‘):
In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts spielte die Grundlagendiskussion sich hauptsächlich ab zwischen eher positivistisch orientierten und eher sozial-konstruktivistisch orientierten Forschern. Seit Mitte der 90er Jahren mischt sich der sog. ‚kritische Realismus‘ in die Diskussion ein und verspricht einen Ausweg aus den Sackgassen einer positivistisch überstrapazierten Objektivität einerseits und einer sozialkonstruktivistisch überstrapazierten Subjektivität anderseits. Dieser entwicklungsgeschichtliche Gang der M&O-Forschung über Positivismus, Sozialkonstruktivismus und Realismus entbehrt nicht einer gewissen sachlichen Berechtigung. Denn die 'klassische' Management- und Organisationstheorie konzentriert sich, retrospektiv gesprochen, auf ‚interne‘ Faktoren wie Managementtechniken, Effizienz usw. In Reaktion darauf beziehen die Späteren ‚externe‘ Faktoren wie ‚Gesellschaft‘, ‚Politik‘, ‚Moral‘ als (gegenstandsbestimmend) in die Erklärung mit ein und spielen sie gegen die (gegenstandsbestimmende) Bedeutung ‚interner‘ Faktoren aus. Ineins damit verschiebt sich der erklärungstheoretische Ansatz.
Allerdings wird die die M&O-Forschung begleitende Grundlagendebatte vor allem innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung selbst betrieben, genauer: sie wird in erster Linie von grundlageninteressierten Sozialwissenschaftlern geführt. Vom Gesichtspunkt der Philosophie muß dabei auffallen, daß in der Debatte in vielerlei Hinsicht Bezug genommen wird auf philosophische Begriffe, es jedoch an einer zureichenden Rechenschaft über deren Bestimmtheit und Geltung mangelt. So besteht z. B. das Recht des kritischen Realismus gewiß in der Suche nach einem Weg der die Scylla des Positivismus ebenso vermeidet wie die Charybdis des Sozialkonstruktivismus; aber gerade die Ontologie des kritischen Realismus, näherhin die gestufte Ontologie (‚stratified ontology‘), die er als Ausweg anbietet, bedarf der kritischen Reflexion. Diese kritische Reflexion führt notwendig auf den Idealismus – wie er sich paradigmatisch in der klassischen deutschen Philosophie herausgebildet hat – und auf dessen Bedeutung für eine zeitgemäße Philosophie des M&O. Eine Ontologie, näherhin eine soziale Ontologie, d. i. eine Ontologie des Sozialen, bildet das zentrale Thema der ‚meta-theoretischen‘ Auseinandersetzungen innerhalb der M&O-Forschung. Diese Ontologie wird gerade vor dem Hintergrund wissenschaftstheoretischer Probleme der Erkenntnis von Management- und Organisationssachverhalten gefordert. Explanatorisch ausgerichtete sozialwissenschaftliche Debatten sind in sie einbezogen. Die meta-theoretische Auseinandersetzung wird im Diskurs gelegentlich als ‚ontology/epistemology debate‘ bezeichnet. In ihr geht es um die Konstitution der sozialen Welt und die Folgen dieser Konstitution für die Erkenntnis ebendieser Welt, speziell für die M&O-Forschung.
Vor diesem Hintergrund versuche ich in den nächsten Jahren in Auseinandersetzung mit der Geschichte der (vor allem kontinentalen modernen) Philosophie Grundzüge einer Sozialontologie herauszuarbeiten. Eine zeitgemäße Philosophie des M&O kann nämlich erheblich profitieren von einem reflektierten Einbezug gerade des deutschen Idealismus, der sich von Kant über Hegel bis in den Neukantianismus und die Phänomenologie sowie deren gegenwärtige Ausprägungen hinein erstreckt. Gegenwärtig untersuche ich den Begriff des Sozialen im Neukantianismus und in der kontemporänen (subjektorientierten) Transzendentalphilosophie; in den Sommermonaten wende ich mich hauptsächlich Kant und Hegel zu. Der thematische Bogen ist dabei weit gespannt wie weit zu spannen. Er reicht von der logischen Fundierung von M&O, zur kultur- oder geistregionalen Verortung von M&O (als (sub-)regionale Ontologie) bis hin zur (ansatzmäßigen) Ausarbeitung einer Ontologie von M&O. Ich verfüge daher über ein reichaltiges Material für einen Vortrag (bzw. Vorträge) zum Thema; allerdings mit der Einschränkung, daß dieses bislang noch nicht speziell M&O betrifft, sondern vorerst bloß das Soziale (wovon M&O, wie sich herausstellen wird, ein spezifischer Typus ist). Deshalb will ich mich heute noch nicht im einzelnen thematisch festlegen, sondern das Vorzutragende von den Forschungsergebnissen der kommenden Monate abhängig machen.