Kontakt: Universität Duisburg-Essen, Institut für Philosophie, Stichwort: Kongress 2008, Universitätsstr. 12, 45117 Essen - Tel.: 0201/183-3486, E-Mail: infodgphil2008.de
Sektionsredner

Eine Auflistung der Sektionsredner finden Sie in alphabetischer Sortierung unter nachfolgendem Link


Verzeichnis der Sektionsredner

Download Programm

Unter folgendem Link können Sie sich das Gesamtprogramm als PDF (1 MB) herunterladen: Download PDF.

Kontakt

Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

Institut für Philosophie
Stichwort: Kongress 2008
Universität Duisburg-Essen
Universitätsstr. 12
45117 Essen

Häufig gestellte Fragen

Sollten Sie Fragen haben, schicken Sie eine E-Mail an info dgphil2008.de. Möglicherweise finden Sie auch bei den häufig gestellten Fragen eine Antwort.


FAQ

Sektionsredner

Dr. Felicitas Krämer (Düsseldorf) - Curriculum Vitae
Zur Naturalisierung moralischer Emotionen und ihrer Angemessenheit

Abstract

Die Anthropologie beschreibt den Menschen im Spannungsfeld seiner Existenz als Vernunftwesen und emotionalem Sinnenwesen. Eine naturalisierende Analyse unserer Emotionen, die den empirischen Wissenschaften folgt, wirft Probleme für unser lebensweltliches Selbstverständnis auf. In diesem Beitrag wird die These vertreten, daß die sogenannte Neosentimentalismus-Debatte eine Brücke zwischen empirisch-wissenschaftlichen und philosophischen Emotionskonzeptionen schlägt und unserem normativen Selbst- und Wertverständnis entgegenkommt.

Die naturalistische Analyse von Emotionen hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Einfluß gewonnen. Dieser Theorie nach sind Emotionen adaptive Mechanismen, die sich im Dienste der Reproduktionsfähigkeit herausgebildet haben. Seitens der empirischen Forschung, etwa in Psychologie und Hirnforschung, haben Jonathan Haidt und Joshua Greene auf die Evolutionsgeschichte unserer Emotionen und ihre Relevanz im moralischen Urteilen verwiesen.

Nach Haidt und Greene hat die Naturalisierbarkeit von Emotionen weitreichende metaethische Konsequenzen. Wenn unsere moralischen Emotionen sich nach dem Maßstab evolutionärer Nützlichkeit herausgebildet haben, dann können wir uns nicht zugleich einem Wertrealismus verpflichten. Vielmehr scheint eine naturalisierende Sicht notwendig zu einem metaethischen Projektivismus zu führen: Unsere moralischen Werte und Normen sind nicht metaphysisch vorgegeben, sondern sind ein Produkt des menschlichen Denkens und Fühlens. Die Erkenntnis beispielsweise, daß bei der Bearbeitung von uns persönlich besonders herausfordernden moralischen Dilemmata emotionsprozessierende Areale in unseren Gehirnen aktiv sind, scheint darauf hinzuweisen, daß die Welt durch unsere entsprechenden emotionalen Reaktionen erst mit Normen und Werten „aufgeladen“ wird.

Diese antirealistische Tendenz der auf die empirische Forschung gerichteten naturalistischen Ansätze wird jedoch unseren tiefverwurzelten wertrealistischen Intuitionen nicht gerecht. Wir erleben Werte und Normen als relativ stabil und als für das Individuum unhintergehbar. Seit den neunziger Jahren befaßt sich die sogenannte Neosentimentalismus-Debatte in der Metaethik mit der Frage nach der Angemessenheit von Emotionen. Wichtige Autoren dieser Debatte sind unter anderem Allan Gibbard, John McDowell, David Wiggins und Simon Blackburn. Wie Holmer Steinfath kürzlich zeigte, eröffnet der Neosentimentalismus mit seinem Fokus auf emotionaler Angemessenheit einen metaethischen Mittelweg zwischen Projektivismus einerseits und Wertrealismus andererseits.

Dieser Beitrag befaßt sich in Erweiterung von Steinfaths These mit der Frage, inwiefern die Thematisierung der Angemessenheit von Emotionen in der Neosentimentalismus-Debatte die teilweise stark vereinfachenden metaethischen Annahmen der aktuellen empirischen Emotionsforschung zu korrigieren hilft.

Nach einigen terminologischen Klärungen im ersten Abschnitt wird im zweiten Teil exemplarisch anhand der neosentimentalistischen Konzeption Gibbards die Frage nach der Angemessenheit von Emotionen gestellt und in einem dritten Teil kritisch diskutiert. Für Gibbards „Normexpressivismus“ ist ein moralisches Urteil der Ausdruck der Akzeptanz bestimmter Normen, die durch Emotionen wie Scham, Schuld und Empörung sanktioniert werden. In Gibbards naturalisierendem Verständnis fällt die Fähigkeit zur Normakzeptanz unter die biologischen Adaptationsleistungen. Emotionale Angemessenheit besteht für Gibbard in der idealen Koordination von Emotionen, d.h. in der wechselseitigen Abstimmung von Emotionen durch Antwort mit den passenden Komplementärgefühlen. So etabliert sich innerhalb einer Gemeinschaft ein stabiles Netz von Gefühlsmechanismen und emotionalen Angemessenheitsnormen. Dies wiederum führt zu einer Maximierung des Reproduktionserfolges.

Gibbards Naturalisierung moralischer Emotionen genügt unserem menschlichen Selbst- und Wertverständnis nicht vollständig. So ist etwa die Kategorie des Reproduktionserfolges nicht problemlos in ein normatives Konzept überführbar. Bei allen weiteren Vorbehalten weist Gibbards Neosentimentalismus jedoch Vorteile vor anderen naturalistischen Ansätzen auf: Einerseits vermeidet er einen einfachen Wertrealismus, jedoch umgeht er anderseits zugleich die Instabilitätsprobleme eines antirealistischen Wertprojektivismus. Für ihn als Neosentimentalisten sind Normen und Werte zwar keine vorgegebenen, metaphysischen Größen, sondern erwachsen aus gesellschaftlichen Koordinationsprozessen. Die so entstandenen Wert- und Normvorstellungen sind jedoch zugleich stabil, weil sie in einen kohärenten Nexus der wechselseitigen Gefühlskoordination eingebunden sind.

So läßt sich anhand von Gibbards Ansatz beispielhaft darstellen, wie die metaethische Neosentimentalismus-Debatte über die Angemessenheit von Emotionen das kontraintuitive und verkürzte Bild zu korrigieren hilft, das die empirische Emotionsforschung vom normativen Selbstverständnis des Menschen zeichnet.

  • nach oben
  • zum Kalender

Curriculum Vitae von Dr. Felicitas Krämer

Studium:
  • Bis 1998: Philosophie, Germanistik, Anglistik (Heidelberg, als visiting scholar: Boston, Pittsburgh). Abschluss: M.A.
Promotion:
  • 2004: William James' Realitätsverständnis (Heidelberg)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Düsseldorf
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Emotionstheorien in Ethik und Philosophie des Geistes
  • Natürlichkeits- und Authentizitätskonzeptionen
  • Neurophilosophie, Neuroethik
Berufliche Stationen:
  • 2007 - -: Wiss. Mitarbeiterin, Habilitandin, Univ. Düsseldorf
  • 2004 - 2007: Postdoc-Stipendiatin, Lehrbeauftragte, Univ. Bielefeld
  • 1999 - 2004: Wiss. Mitarbeiterin, Univ. Bamberg
Wichtigste Publikation(en):
  • Erfahrungsvielfalt und Wirklichkeit: Zu William James' Realitätsverständnis, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006.
  • "Robots, Dennett, and the Autonomous: A Terminological Investigation", in: Minds and Machines, Journal for Artifical Intelligence, Philosophy and Cognitive Science, 16,1, 2006, 73-8 (zusammen mit Colin T. Schmidt)
  • "Neuroenhancement von Emotionen: Zum Begriff emotionaler Authentizität", in B. Schöne-Seifert et al. (Hgg.), Neuro-Enhancement, Ethik vor neuen Herausforderungen, Paderborn: Mentis, 2008.
  • nach oben
  • zum Kalender