Sektionsredner
Dr. Jens Kertscher (Darmstadt) - Curriculum Vitae
Normativität oder Naturalismus? Zur Verteidigung des semantischen Externalismus
Abstract
Sprachliche Bedeutungen, Gedanken, oder allgemeiner: mentale Gehalte haben normative Eigenschaften. Diese Behauptung kann gegenwärtig sowohl in der Sprachphilosophie als auch in der Philosophie des Geistes als Gemeinplatz gelten. Weil Geistiges irreduzibel normativ ist, kann es auch nicht im Rahmen eines an naturwissenschaftlichen Methoden orientierten Erklärungsmodells begriffen werden. Um die normativen Eigenschaften des Geistigen richtig zu verstehen, gilt es vielmehr, sich an lebensweltlichen Praktiken der wechselseitigen Zuschreibung von Bedeutungen und Gedanken zu orientieren. Dann hat man es mit intersubjektiven Zusammenhängen zu tun, die sich ihrerseits nicht wiederum auf kausale Abläufe reduzieren lassen. So verbindet sich im Allgemeinen die Normativitätsthese hinsichtlich mentaler Gehalte mit einem an externalistischen Theorien ausgerichteten Verständnis der Zuschreibung mentaler Gehalte.
Divergenzen bestehen darin, wie man die fraglichen normativen Eigenschaften genauer verstehen soll. Unklar ist dabei, ob sich die Verknüpfung der Normativitätsthese mit dem semantischen Externalismus aufrechterhalten lässt: Folgt aus der Annahme, dass die Normativität mentaler Gehalte relativ zu einer intersubjektiven, sprachlich verfassten Zuschreibungspraxis verstanden werden muss, dass diese Gehalte selbst ein Produkt von Interpretationen sind? Die Behauptung, dass Bedeutungen und Gehalte normativ sind, geht mit der weniger selbstverständlichen These einher, dass Bedeutungen und Gehalte interpretativ konstituiert sind.
Im Anschluss an Brandoms „Making it Explicit“ werden diese Fragen entlang der Alternative Normativität oder Naturalismus diskutiert, wobei Brandoms anspruchsvolles Normativitätskonzept, das Normativität als intrinsische Eigenschaft von Bedeutungen und Gedanken auffasst, vorausgesetzt wird. Insbesondere wird angenommen, dass die externalistische These von der Interpretationsgebundenheit des Geistigen nur mit Hilfe dieses anspruchsvollen Normativitätskonzepts plausibel gemacht werden kann.
Der vorliegende Beitrag nimmt diese Diskussion auf und will letztere Annahme problematisieren. Dabei soll die Frage leiten, wie man die normativen Eigenschaften des Geistigen verstehen kann, ohne einerseits annehmen zu müssen, Bedeutungen und Gedanken seien intrinsisch normativ, und ohne andererseits die These von der Interpretationsgebundenheit von mentalen Gehalten aufzugeben. Es wird gezeigt, dass Brandom nicht plausibel machen kann, wie aus der normativ zu verstehenden Interpretations- und Zuschreibungspraxis folgt, dass Normativität eine genuine Eigenschaft von Bedeutungen und Gedanken ist.
Um solchen Schwierigkeiten zu entgehen, könnte man, wenn man den Normativitätsgedanken nicht ganz aufgeben will, ihn vom semantischen Externalismus ablösen. Die Quelle der Normativität wäre dann im Selbstbezug des Sprechers zu suchen, aber so, dass dieser Selbstbezug nicht notwendig sein soll für das Vorhandensein von normativen Bindungen zwischen Gedanken. Normativität wäre dann abgelöst von Fremd- und Selbstzuschreibungen sowie auch prinzipiell zugänglich für kausale Erklärungen (Peacocke). Dieser Weg soll im vorliegenden Beitrag, der sich als Verteidigung des semantischen Externalismus versteht, nicht gegangen werden. Vielmehr soll gezeigt werden, dass der normative Aspekt von Bedeutungen und Gedanken tatsächlich nur von einem interpretationistischen Standpunkt aus verständlich gemacht werden kann. Brandom ist darin zu folgen, dass die normativen Eigenschaften der mentalen Gehalte den deontischen Einstellungen, die Sprecher und Interpreten gegenüber ihren eigenen sowie fremden Gedanken und Bedeutungen einnehmen können, entspringen, und dass das wiederum nur möglich ist, wenn sie in einem kommunikativen Zusammenhang wechselseitiger Sanktionierung solcher normativen Ansprüche stehen. Ich werde allerdings behaupten, dass man mit einem weniger anspruchsvollen Verständnis von Normativität auskommen kann und muss, wenn man an der These von der Interpretationsgebundenheit des Geistigen festhalten will.
Um es thesenartig zu formulieren, wird der Beitrag für folgende Behauptungen argumentieren:
1. Wenn die Normativität von Bedeutungen und Gedanken Resultat von Interpretationen ist, dann ist es fraglich, ob sie als intrinsische Eigenschaft von Bedeutungen und Gedanken verstanden werden muss.
2. Wenn es eine normative Dimension von Bedeutungen und Gedanken gibt, dann entspringt sie den normativen Einstellungen, die Sprecher und Interpreten zu ihren eigenen fremden Gedanken einnehmen können.
3. Normativität ist eine Eigenschaft dieser Einstellungen und durch sie bedingt. Daher kann man sie nur verstehen, wenn man sie aus einem intersubjektiven Zusammenhang heraus begreift.
Curriculum Vitae von Dr. Jens Kertscher
- Bis 1994: Philosophie, Romanische Philologie (Köln, Florenz, Tübingen, Heidelberg). Abschluss: MA
- 1998: Selbstbestimmung der Vernunft - Untersuchungen zu Hegels Begriff der Handlung (Heidelberg)
- Technische Universität Darmstadt
- Sprachphilosophie
- Hermeneutik
- Pragmatismus
- 2004: Wissenschaftlicher Mitarbeiter
- Als Mithg. "Pragmatismus - Philosophie der Zukunft? (im Erscheinen)
- Als Mithg. "Hemrneutik und die Grenzen der Sprache" (im Erscheinen)
- Als Mithg. "Wittgenstein und die Metapher" (2004)