Sektionsredner
Kilian Kemmer, M.A. (München) - Curriculum Vitae
Das unbedingte Grundeinkommen – Eine wirtschaftsethische Analyse
Abstract
Im Sommer 2006 hat der CDU-Ministerpräsident von Thüringen Dieter Althaus ein revolutionäres Sozialstaatskonzept der Öffentlichkeit präsentiert: Das Solidarische Bürgergeld. In vereinfachter Darstellung besteht die Idee darin, alle bisherigen Sozialleistungen zu streichen, um diese durch ein unbedingtes Grundeinkommen von 600 Euro und einer zusätzlich finanzierten Gesundheitsprämie von 200 Euro für alle Bürger zu ersetzen. Die Unbedingtheit der Auszahlung bedeutet dabei, dass jedem erwachsenen Bürger, unabhängig von Wohnort, Haushaltssituation, finanzieller Situation und vor allem unabhängig von der Arbeitsbereitschaft ein existenzsicherndes Einkommen von 600 Euro ausgezahlt werden soll.
Aufgrund der Bedingungslosigkeit der Auszahlung würde das Grundeinkommen einen wahren Paradigmenwechsel in der deutschen Sozialpolitik darstellen. Insbesondere würde es mit dem traditionellen und immer noch weit verbreiteten Paulinischen Gerechtigkeitsdiktum „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ brechen. Dementsprechend ist es wenig überraschend, dass die Frage nach der Gerechtigkeit eines bedingungslosen Transfers in der öffentlichen Debatte äußerst kontrovers diskutiert wird. Gerechtigkeitstheoretisch stellt sich deshalb die Frage, ob es gerecht sein kann, dass jeder einen staatlichen Transfer ohne Gegenleistung erhält.
Sucht man allerdings innerhalb der aktuellen Diskussion über das Grundeinkommen eine Antwort auf die Frage nach seiner Gerechtigkeit, findet man sich in einem Netz divergierender Gerechtigkeitspositionen wieder. So argumentiert zum Beispiel van Parijs mit einem vorstaatlichen Recht auf Ressourcen für das Grundeinkommen, wohingegen sich Nozick, ebenfalls mit Rekurs auf vorstaatliche Rechte, gegen staatliche Transfers ausspricht. Ähnlich wird auch mit dem Begriff Würde zum Teil für als auch gegen das Grundeinkommen diskutiert.
Das Problem ist dabei, dass sich Gerechtigkeitsvorstellungen einander diametral gegenüber stehen, und man nicht erkennt, wie innerhalb des Wertediskurses zwischen den einzelnen Theorien entschieden werden soll. Schwierig gestaltet sich die Entscheidung vor allem deshalb, weil sich die unterschiedlichen Positionen oftmals auf das gleiche Denkmodell berufen, dabei aber zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Angesichts dieser Problemlage wird anhand der wirtschaftsethischen Perspektive, so wie sie vor allem von Buchanan entwickelt wurde, der Versuch unternommen, einen neuen Blick auf die verfahrene Situation innerhalb des Gerechtigkeitsdiskurses zu gewinnen. Die wirtschaftsethische Perspektive betont dabei zum einen die Tatsache, dass die Implementierbarkeit oder Durchsetzbarkeit von Reformen von der Zustimmung der Betroffenen abhängt. Zum anderen formuliert der Begriff, analog zur notwendigen Zustimmung jedes Einzelnen, die Heuristik der wechselseitigen Verbesserung. Die Kernidee lässt sich wie folgt zusammenfassen: Wenn man zeigen könnte, dass das Grundeinkommen im Interesse aller Beteiligten wäre, dann hätte man eine attraktive Option, den Wertediskurs zu umgehen. Zwar könnten die Bürger dann trotzdem an ihren alten Gerechtigkeitsvorstellungen festhalten, in einem gewissen Sinne wäre das allerdings irrational, weil sie sich ja durch die Reform besser stellen könnten. Würde das unbedingte Grundeinkommen dagegen keine wechselseitige Besserstellung darstellen, dann würden diejenigen unter Zugzwang stehen, die ein Grundeinkommen trotzdem durchsetzen wollen. Sie müssten überzeugende Gründe angeben, warum eine Reform gegen das Interesse von Betroffenen durchgesetzt werden sollte.
Die Ergebnisse der Analyse des Solidarischen Bürgergeldes, also eines konkreten Grundeinkommensmodells, sind überraschend: Tatsächlich gibt es Gründe dafür, dass das unbedingte Grundeinkommen eine wechselseitige Besserstellung für alle bedeuten könnte (zum Beispiel mehr Arbeitsplätze, weniger Steuern, Wirtschaftswachstum etc.). Inwieweit das jedoch wirklich der Fall wäre, kann bisher nur bedingt prognostiziert werden. Das ist das entscheidende Problem: Weder die theoretischen, noch die empirischen Analysen können heute eine halbwegs seriöse Folgenabschätzung liefern. Man weiß einfach nicht, wie sich das Solidarische Bürgergeld auf Arbeitsangebot und -nachfrage, Produktivität, Schwarzarbeit etc. auswirken wird und deshalb kann man auch nicht vorhersagen, ob das Grundeinkommen eine wechselseitige Besserstellung für alle Beteiligten bedeuten würde.
Aufgrund der genannten Probleme kann zwar auch die wirtschaftsethische Perspektive den Dissens innerhalb des Wertediskurses nicht auflösen. Sie zeigt aber die notwendigen Bedingungen für die Ausgestaltung eines Grundeinkommens auf, damit selbst innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft solch eine fundamentale Reform Chancen hat, umgesetzt zu werden.
Curriculum Vitae von Kilian Kemmer, M.A.
- Bis 2003: Philosophie, Volkswirtschaft (Sorbonne 1, HU Berlin, LMU München). Abschluss: Magister
- Das unbedingte Grundeinkommen - Eine wirtschaftsethische Analyse (LMU München)
- LMU München
- Gerechtigkeitsphilosophie
- Wirtschaftsethik
- 2005 - 2008: Werkstudent