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FAQ

Sektionsredner

Dr. Martin Hoffmann (Münster) - Curriculum Vitae
Das Equipoise-Kriterium und die Analyse von Risiken klinischer Studien

Abstract

Klinische Studien in Medizin und Psychologie stellen nicht nur Forschung am Menschen dar, sondern sind Forschung am kranken Menschen. Denn nur durch die Erhebung experimenteller Daten an Patienten kann die Sicherheit und Wirksamkeit therapeutischer Interventionen empirisch valide nachgewiesen werden. Bei der Durchführung klinischer Studien stellt sich dabei das folgende ethische Problem: Einerseits gilt gegenüber kranken Menschen ein generelles Hilfegebot. Im klinischen Kontext lässt sich aus diesem die ärztliche Verpflichtung ableiten, jedem einzelnen Patienten die bestmögliche Behandlung zu gewährleisten (Prinzip ärztlicher Fürsorge). Andererseits gilt es aber auch, die eingesetzten therapeutischen Interventionen hinsichtlich ihrer Sicherheit und Wirksamkeit empirisch zu überprüfen. Aus diesem Grund resultiert zumindest indirekt auch eine Verpflichtung zur klinischen Forschung.

Inwiefern diese beiden Gebote miteinander in Konflikt geraten, lässt sich anhand der Rollen erläutern, in denen die Beteiligten einander gegenüber treten. Der in die Studie eingeschlossene Kranke ist einerseits Patient und somit Adressat individualisierter ärztlicher Fürsorge, andererseits zugleich Proband in einem Humanexperiment. Entsprechend tritt ihm der das Experiment durchführende Mediziner zum einen in der Rolle des Arztes, zum anderen in der Rolle des Forschers gegenüber. Problematisch wird diese doppelte Rollenzuweisung deshalb, weil der Forscher sich zur Anwendung experimenteller Methoden veranlasst sehen kann, die zwar notwendig sind, um die Validität der Studie zu sichern, die aber zugleich Risiken induzieren, die auf der Grundlage des Prinzips ärztlicher Fürsorge nicht gerechtfertigt sind.

Um den Konflikt zwischen dem Prinzip ärztlicher Fürsorge und forschungsethischen Verpflichtungen zu lösen, ist das Equipoise-Kriterium konzipiert worden. Sein primäres Ziel besteht darin, die Maßstäbe ärztlicher Fürsorge auch im Kontext klinischer Forschung strikt einzuhalten. Das Kriterium besagt in der von B. Freedman 1987 formulierten Version: Eine klinische Studie ist nur dann moralisch zulässig, wenn (a) eine genuine Unsicherheit in Bezug auf die klinische Vorzugswürdigkeit der verschiedenen Behandlungsarme der Studie besteht (d. h. wenn alle Studienarme hinsichtlich des erwarteten Nutzen/Risiko-Verhältnisses gleich sind) und (b) keiner der Studienarme eine schlechtere klinische Versorgung bietet als die etablierte Standardbehandlung.

Nachdem das Equipoise-Kriterium in den 1990er Jahren weithin akzeptiert war und in verschiedene internationale Kodizes (z. B. die Declaration of Helsinki) aufgenommen wurde, gibt es mittlerweile eine kontrovers geführte Debatte um seine Rechtfertigung. Kritiker führen primär drei Einwände an: Erstens vermenge das Equipoise-Kriterium in inadäquater Weise Grundsätze klinischer Ethik und Prinzipien der Forschungsethik, zweitens sei es unter der Voraussetzung des wohlinformierten und einwilligungsfähigen Patienten/Probanden eine irrelevante Zusatzbedingung und drittens verhindere es aufgrund seiner unangemessenen Restriktivität forschungsstrategisch wertvolle und klinisch dringend notwendige Studien.

Vertreter des Equipoise-Kriteriums haben versucht, Modifikationen vorzunehmen, um diesen Einwänden zu begegnen. Im Vortrag werden zunächst zwei aktuelle Vorschläge für solche Modifikationen diskutiert und es wird gezeigt, dass die Einwände in beiden Fällen umgangen werden; dies allerdings um den Preis einer erheblichen Abschwächung. Problematisch daran ist, dass dabei das zentrale Ziel des Kriteriums – die Einhaltung der Maßstäbe ärztlicher Fürsorge auch bei klinischer Forschung – aus dem Blick gerät. Im Vortrag wird deshalb eine alternative Version des Equipoise-Kriteriums vorgeschlagen, die ebenfalls den Anspruch erhebt, den Standardeinwänden nicht ausgesetzt zu sein – allerdings nicht um den Preis einer solchen Abschwächung. Ansatzpunkt ist die dem Equipoise-Kriterium unterstellte unangemessene Restriktivität. Diese, so wird gezeigt, besteht nur dann, wenn man annimmt, dass die verfügbare Standardtherapie sicher, wirksam und (nahezu) risikofrei anwendbar sei. Es wird belegt, dass eine solche Sichtweise der klinischen Standardversorgung eine vereinfachte Sicht auf klinische Risiken darstellt. Stellt man die mit therapeutischen Interventionen verbundenen Risiken in angemessener Weise in Rechnung, so ist das Equipoise-Kriterium faktisch sehr viel weniger restriktiv als gemeinhin angenommen wird. Im Vortrag wird gezeigt, welche Rolle das Equipoise-Kriterium in einer solchen vergleichenden Analyse von Risiken aus klinischer Forschung und Risiken aus klinischer Standardversorgung spielen kann.

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Curriculum Vitae von Dr. Martin Hoffmann

Studium:
  • Bis 2001: Philosophie, Psychologie (Universität Würzburg, Universität Hamburg). Abschluss: Dipl.-Psych, M.A.
Promotion:
  • 2007: Kohärenzbegriffe in der Ethik (Universität Hamburg)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Universitätsklinikum Münster
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Metaethik
  • Angewandte Ethik
  • Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften
Berufliche Stationen:
  • 2001 - 2003: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar Hamburg
  • 2003 - 2006: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Kohärenzbegriffe in der Ethik“ bei Herrn Prof. Dr. Ulrich Gähde
  • seit 2006: Wissenschaftlicher Mitarbeiter im BMBF-Projekt „Ethische Probleme bei randomisierten klinischen Studien“ unter der Leitung von Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert (Universitätsklinikum Münster, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin)
Wichtigste Publikation(en):
  • Kohärenzbegriffe in der Ethik (Dissertationsschrift, erscheint im August 2008 bei de Gruyter)
  • Hoffmann, Martin (2005). Sind Gruppenzugehörigkeiten moralisch relevant? Zu einigen Konsequenzen von Simpsons Paradox bei der Begründung ethischer Normen. Philosophisches Jahrbuch 112 (2), 335–358.
  • Hoffmann, Martin (2006). Gibt es eine klare Abgrenzung von Therapie und Enhancement? Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 11, 201–221.
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