Sektionsredner
Dipl.-Biol. Susanne Hiekel (Essen) - Curriculum Vitae
Renaissance der Essenzen? Vom Wesen der Lebewesen.
Abstract
Der Begriff des Lebewesens ist für die Wissenschaftstheorie der Biologie ein fundamentaler Terminus. Während in der biologischen Praxis Fragen, die den grundlegenden Gegenstand der Biologie selber betreffen, eher vernachlässigt werden, sind diese für theoretische Belange von Bedeutung und insbesondere erkenntnistheoretische Überlegungen können dabei eine entscheidende Weichenstellung bewirken.
Im Alltagsgeschäft von Naturwissenschaftlern stellt sich selten die Frage, ob der eigenen Disziplin ein realistisches oder eher antirealistisches Verständnis zugrunde liegt. Oberflächlich gesehen scheint eine realistische Interpretation des wissenschaftlichen Geschäfts gängig. Es wird versucht, möglichst viele Beweise für die Wahrheit einer Theorie zu sammeln, die dann, wenn sie empirisch ausreichend belegt scheint, zumindest annäherungsweise als Widerspiegelung der Wirklichkeit gilt. Dies ist ein Bild von Naturwissenschaft, das vom experimentierenden Wissenschaftler oft nicht hinterfragt wird.
An der Oberfläche scheint also ein realistisches Wissenschaftsverständnis für die Arbeit der Wissenschaftler und das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit in einer unreflektierten Weise grundlegend zu sein. Allerdings gibt dieser Standpunkt ein zu einfaches Bild des wissenschaftlichen Selbstverständnisses ab, denn es ist ebenso ein instrumentalistisches Verständnis über Resultate und den Status von Theorien anzutreffen, wenn ihre Geltung erst thematisiert wird.
Eine Bestärkung des realistischen Verständnisses, welches davon ausgeht, dass die Wirklichkeit unabhängig von den Menschen existiert, und meist in Verbindung mit der epistemisch-optimistischen Prämisse vertreten wird, dass die Erklärung der Wirklichkeit durch die Wissenschaft sich immer mehr der Wahrheit über diese Wirklichkeit annähert, wird durch die Explikation des Begriffs des Lebewesens vor dem Hintergrund einer aristotelischen Ontologie bestärkt.
Durch die neoaristotelische Ontologie wird die Substanzmetaphysik, und damit die Unter-scheidung von substantiellen und akzidentiellen Eigenschaften, wiederbelebt. Ergänzt wird dies durch die These der Sortaldependenz der Identität, nach der Einzeldinge nur in Abhängigkeit von sortalen Termen identifiziert werden können, die die Artzugehörigkeit der Einzeldinge bestimmen.
Ein Versuch, die Unterscheidung von akzidentiellen und substantiellen Eigenschaften material zu füllen, wurde im Hinblick auf die Explikation des Begriffs des Lebewesens von Marianne Schark (1) unternommen. Hier wird die besondere Persistenzweise von Lebewesen, als die essentielle Eigenschaft – die „aristotelian nature“ - von Lebewesen spezifiziert. Hierzu wird die aristotelische Formel ‚vivere viventibus est esse’ bemüht und das Sein, welches das Leben der Lebewesen auszeichnet, wird als aktives Beharren, als aktive Manifestation der Lebensfähigkeit eines Individuums identifiziert.
Durch die Annahme von essentiellen, sortalen Eigenschaften der Einzeldinge, die die Artzugehörigkeit determinieren, wird dann die Annahme von natürlichen Arten zwingend. Dies würde implizieren, dass durch Entdeckung der grundlegenden sortalen Terme, die natürlichen Arten ebenfalls aufgefunden werden könnten und die Wissenschaft irgendwann über eine ‚richtige’ Klassifikation von Entitäten verfügen würde.
In der analytischen Philosophie, u. a. in der Tradition von Frege, Carnap, Quine und Wittgenstein, ist allerdings der Essentialismus mit vielerlei Argumenten traktiert worden und stand lange Zeit außer Diskussion. Aber anhand der Theorien von Saul Kripke und Hilary Putnam, ebenso anknüpfend an Peter Strawson, haben diese wieder erneut Einzug gehalten.
In diesem Beitrag wird die essentialistische Kritik im Hinblick auf die Explikation des Beg-riffs des Lebewesens fortgesetzt und für eine anti-essentialistische Interpretation votiert.
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(1) Marianne Schark. Lebewesen versus Dinge. Eine metaphysische Studie. (Berlin, New York: de Gruyter, 2005)
Curriculum Vitae von Dipl.-Biol. Susanne Hiekel
- Bis 1998: Biologie (Ruhr-Universität Bochum). Abschluss: Diplom
- Grüne Gentechnik. Wissenschaftstheoretische und Ethische Überlegungen (Arbeitstitel) (Duisburg-Essen)
- Duisburg-Essen
- Wissenschaftstheorie der Biologie
- Erkenntnistheorie
- Ethik
- 2004 - 2007: Wissenschaftliche Mitarbeiterin
- 2007 - Jetzt: Wissenschaftliche Hilfskraft
- Das teleologische Erklärungsmodell in der Biologie. In: Carl Friedrich Gethmann und Susanne Hiekel (Hg.) Ethische Aspekte des züchterischen Umgangs mit Pflanzen. Materialien der Interdiziplinären Arbeitsgruppe Zukunftsorientierte Nutzung ländlicher Räume - LandInnovation. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. 2007.
- Kallhoff, A.: Prinzipien der Pflanzenethik. Die Bewertung pflanzlichen Lebens in Biologie und Philosophie. Poiesis Prax 3, 2005.