Sektionsredner
Dr. Henning Hahn (Berlin) - Curriculum Vitae
Zur Idee eines politischen Kosmopolitismus
Abstract
Systematisch geht es in meinem Beitrag darum, die Konzeption eines genuin politischen Kosmopolitismus vorzustellen (Ferrara 2007).
Der politische Kosmopolitismus bildet eine Alternative zur Dichotomie zwischen dem moralischen Kosmopolitismus auf der einen und dem sogenannten „institutionellen“ (Beitz 1994, 124f.) bzw. „legalen“ (Pogge 1994, 90) Kosmopolitismus auf der anderen Seite.
Ein Unterschied zwischen moralischem und politischem Kosmopolitismus liegt darin, dass der eine moralische Pflichten, der andere Gerechtigkeitspflichten begründet.
Moralische Pflichten sind Pflichten, die man gegenüber allen anderen Menschen hat. Gerechtigkeitspflichten entstehen dagegen aufgrund spezifisch politischer Beziehungen (ausschlaggebend für meine Unterscheidung ist Iris Youngs ‚social connection model’, 2006).
Während der institutionelle bzw. legale Kosmopolitismus für die Idee einer Weltrepublik oder für ähnliche Reformen der politischen Infrastruktur argumentiert, geht der politische Kosmopolitismus vom bestehenden institutionellen Gefüge aus. Seine Aufgabe ist es, Kriterien zu entwickeln, aufgrund derer sich die Legitimität dieser Institutionen und die Angemessenheit global-governmentaler Reformvorschläge beurteilen lassen.
Für diese Aufgabenstellung werde ich an eine Theorieüberlegung anknüpfen, die ich als „multilayered contractualism“ bezeichne. Diese kontraktualistische Variante verknüpft Rawls’ Völkerrechtsvertrag (1999) mit dem Gegenmodell eines kosmopolitischen Kontraktualismus (Nussbaum 2006, Beitz 1979, Pogge 1989). Sie soll zunächst eine dritte Perspektive eröffnen, in der beide Positionen einen gleichberechtigten Platz einnehmen. Dazu wird jedes Vertragsmodell in Relation zum Status und Skopus der Pflichten untersucht, die mit ihm gerechtfertigt werden können.
Die Methode des multilayered contractualism soll aber nicht nur bestehende Vertragsebenen rekapitulieren, sondern noch weitere Vertragsebenen einziehen. Wie sähe etwa ein Gerechtigkeitskontrakt zwischen den Repräsentanten liberaler Staaten aus? Was ändert sich, wenn diese Staaten politisch und ökonomisch kooperieren? Diese Ebene könnte den entscheidenden Vorteil haben, dass sie die strenge Auftrennung zwischen weitreichenden Gerechtigkeitspflichten auf der nationalen Ebene und einer Minimalkonzeption von Gerechtigkeit auf der internationalen Ebene zurücknimmt und einen differenzierten Blick auf die Probleme transnationaler Gerechtigkeit frei gibt. Zu diskutieren ist vor allem, ob wir auf dieser Ebene nicht berechtigt sind, den Katalog transnationaler Gerechtigkeitspflichten um das Demokratieprinzip und um die Idee internationaler distributiver Gerechtigkeit zu erweitern.
(Beitz, Charles. Political Theory and International Relations, Princeton University Press, 1979.
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Curriculum Vitae von Dr. Henning Hahn
- Bis 2002: Philosophie, politische Wissenschaften, Literatur- und Theaterwissenschaften (Hildesheim, Tübingen, UC London). Abschluss: MA
- 2007: Moralische Selbstachtung. Zur Grundfigur einer sozialliberalen Gerechtigkeitstheorie (Hildesheim)
- Politische Philosophie, Philosophie der Menschenrechte
- Ethik
- Nietzsche
- 01.09.2007 - 30.08.2008: Forschungsprojekt "Kontexte internationaler Gerechtigkeit", Prof. Gosepath, Universität Bremen
- Moralische Selbstachtung. Zur Grundfigur einer sozialliberalen Gerechtigkeitstheorie, Berlin/New York 2008.
- (Herausgeber) Selbstachtung oder Anerkennung? Beiträge zum Begründungsdiskurs um Menschenwürde und Gerechtigkeit, Weimar 2005.
- "Nietzsches Wahrheitstheorie und der Amerikanische Pragmatismus", in: Reschke/Gerhardt (Hg.), Nietzscheforschung, Berlin 2005.