Sektionsredner
Gregor Damschen, M.A. (Halle) - Curriculum Vitae
Eine Paradoxie der Gödelschen Positivität
Abstract
Kurt Gödel hat einen zweiseitigen Beweis der Existenz Gottes entwickelt (Gödel 1995), der sich an Leibniz’ ontologischem Argument orientiert. Gödels Argument kursierte seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts unter Logikern und Philosophen, wurde aber erst 1987 publiziert. Kernstück dieses Beweises ist die Annahme der sogenannten ‚positiven Eigenschaft‘, einer Eigenschaft zweiter Stufe, die auf Eigenschaften erster Stufe angewendet wird. Obwohl man vermuten kann, dass Gödels Positivität an Leibniz’ Perfektionenbegriff orientiert ist – wobei Perfektionen Eigenschaften sind, die sich nicht selbst und keiner anderen Perfektion widersprechen – (dazu Gödel: „It [sc. positive, G.D.] may also mean pure “attribution” as opposed to privation (or containing privation)“), bleibt die positive Eigenschaft im Gödelschen Beweis selbst material undefiniert und wird nur durch ihre Funktion im formalen Gefüge des Beweises verständlich. Gödel sagt explizit nur soviel: “Positive means positive in the moral aesthetic sense (independently of the accidental structure of the world).” Er wird vermutlich an ‚gut‘ und ‚schön‘ als Kandidaten für Eigenschaften erster Stufe gedacht haben, auf die die Eigenschaft zweiter Stufe ‚positiv‘ angewendet werden kann. Im Beweis selbst werden nur zwei Eigenschaften genannt, die positiv sind: notwendige Existenz und Göttlichsein.
I. Gödel macht explizit folgende Annahmen zur Positivität:
1. Positivität ist eine Eigenschaft von Eigenschaften.
2. Jede Eigenschaft ist entweder positiv oder ihre Negation ist positiv, aber nicht beide. (Gödels Axiom 2)
3. Gott hat alle positiven Eigenschaften, bzw.: X ist göttlich genau dann, wenn für alle Eigenschaften phi gilt: Wenn phi positiv ist, dann hat x die Eigenschaft phi. (Gödels Definition 1)
Nehmen wir noch folgende Annahmen hinzu:
4. Wahrheit ist eine Eigenschaft von Wahrheitswertträgern. (Meine Annahme)
5. Falschheit ist die Negation der Wahrheit. (Meine Annahme)
Aus diesen fünf Annahmen und dem folgenden Satz D ergeben sich problematische Konsequenzen. Welche und wie, werde ich im folgenden zeigen.
II. Der selbstbezügliche Satz D ist nicht trivial und nicht paradox:
(D) Der Wahrheitswert von D ist nicht positiv.
Es ergeben sich zwei Möglichkeiten bezüglich des Wahrheitswertes des Satzes D.
(i) Wenn D wahr ist, ist der Wahrheitswert von D nicht positiv. Wenn der Wahrheitswert von D nicht positiv ist, stimmt es, was D zum Ausdruck bringt, und D ist wahr. D ist also genau dann wahr, wenn der Wahrheitswert von D nicht positiv ist.
(ii) Wenn D falsch ist, ist der Wahrheitswert von D positiv. Wenn der Wahrheitswert von D positiv ist, stimmt es nicht, was D zum Ausdruck bringt, und ist D falsch. D ist also genau dann falsch, wenn der Wahrheitswert von D positiv ist.
Wenn D wahr ist, kann der Wahrheitswert von D nicht zugleich falsch sein, da D sonst zugleich wahr und falsch wäre, was zum Widerspruch führt. Dasselbe gilt für den Fall, daß D falsch ist. Auch hier gilt, wenn D falsch ist, ist auch sein Wahrheitswert falsch. Es ergibt sich deshalb: Die Wahrheit von D ist keine positive Eigenschaft, während die Falschheit von D eine positive Eigenschaft ist.
6. Die Falschheit von D ist positiv.
III. Nehmen wir die folgende Prämisse hinzu:
7. Wenn phi als Eigenschaft eines Eigenschaftsträgers y positiv ist, dann ist phi (grundsätzlich) positiv, d.h. phis Eigenschaften zweiter Stufe sind nicht davon abhängig, wer oder was Träger der Eigenschaft phi ist. (Positivitätsinvarianz; meine Annahme)
Wenn positive Eigenschaften Perfektionen sind und sich die Positivität auf die Perfektion der Eigenschaft bezieht, dann ändert sich die Perfektion der Eigenschaft nicht dadurch, dass sie von verschiedenen Individuen exemplifiziert wird. Wenn beispielsweise Gutsein positiv ist, dann ist es mit Blick auf die Positivität des Gutseins egal, wer das Gutsein exemplifiziert. Wenn wir Prämisse 7 auf Satz 6 anwenden, erhalten wir:
8. Wenn die Falschheit von D eine positive Eigenschaft ist, dann ist Falschheit (grundsätzlich) positiv.
Aus 6 und 8 ergibt sich per Modus ponens:
9. Falschheit ist positiv.
IV. Wenn man die Prämissen 3 und 9 miteinander verbindet, wenn also Falschheit eine positive Eigenschaft ist und Gott alle positiven Eigenschaften hat, ergibt sich fatalerweise:
10. Gott ist falsch.
Diese Konklusion widerspricht den traditionellen Vorstellungen Gottes, die Gott mit der Wahrheit, mit der Falschheit aber den Teufel in Verbindung bringen.
Wer die Konklusion 10 nicht akzeptiert, wird per reductio ad absurdum schließen, daß eine oder mehrere der vorausgesetzen Prämissen ungültig sind. Im Vortrag werden insbesondere die Prämissen 2, 4 und 7 auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Ebenso wird Satz D einer genaueren Analyse unterzogen.
Literatur:
Gödel, K. (1995), Ontological proof, in: Collected Works, vol. III, ed. S. Feferman et al., Oxford U.P., 403-404.
Curriculum Vitae von Gregor Damschen, M.A.
- Philosophie, Klassische Philologie (Heidelberg)
- Halle
- Erkenntnistheorie
- Metaphysik
- Bioethik
- Wiss. Mitarbeiter (Univ. Halle)
- Research Fellow (Univ. Luzern)
- Der moralische Status menschlicher Embryonen (hg. zus. mit D. Schönecker), Berlin/New York: de Gruyter 2003.
- Debating Dispositions (hg. zus. mit K. Stueber u. R. Schnepf), Berlin/New York: de Gruyter (forthcoming).