Sektionsredner
Robin Celikates, M.A. (Bremen) - Curriculum Vitae
Ziviler Ungehorsam in der Demokratie?
Abstract
Spätestens die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm haben die Frage des zivilen Ungehorsams wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Aber unter welchen Bedingungen zählt rechtswidriges Verhalten überhaupt als Akt zivilen Ungehorsams? Wann ist ziviler Ungehorsam legitim, wann vielleicht sogar moralisch geboten? Und wie sollte ein demokratischer Staat auf zivilen Ungehorsam reagieren?
In den Debatten der Politischen Philosophie der 1960er bis 1980er Jahre sind diese Fragen von so prominenten Autoren wie Hannah Arendt, John Rawls, Michael Walzer, Ronald Dworkin und Jürgen Habermas kontrovers diskutiert worden. Heute hingegen scheinen sie kaum mehr auf der Agenda der Politischen Philosophie zu stehen. Das mag mit der Konzentration der gegenwärtigen Debatten auf Fragen der Verteilungsgerechtigkeit einerseits, der institutionellen Verfahren der Entscheidungsfindung andererseits zusammenhängen. Die Frage nach der Legitimität von Formen des außerinstitutionellen politischen Handelns gerät da schnell aus dem Blick, zumal wenn es in einer Demokratie andere, und zwar rechtskonforme Möglichkeiten gibt, eine abweichende Meinung kundzutun und auf den politischen Prozess einzuwirken. Unter demokratischen Bedingungen muss ziviler Ungehorsam den Verdacht auf sich ziehen, unter dem Mantel moralischer Prinzipien der Durchsetzung der eignen Präferenzen auch gegen den Willen der Mehrheit zu dienen.
In meinem Vortrag werde ich argumentieren, dass zivilem Ungehorsam trotz dieses berechtigten Verdachts eine zentrale demokratietheoretische Bedeutung zukommt. Um diese genauer herauszuarbeiten, werde ich in einem ersten Schritt eine liberale Deutung der Legitimität zivilen Ungehorsams von einer republikanischen unterscheiden. Aus liberaler Sicht unterliegt auch eine demokratische Regierung gewissen Grenzen: Verletzt die Mehrheit die grundlegenden Rechte einer Minderheit – kommt es also zu einer Tyrannei der Mehrheit – kann ziviler Ungehorsam legitim und vielleicht sogar gefordert sein. Eine republikanische Theorie des zivilen Ungehorsams betont hingegen, dass dieser nicht als Begrenzung, sondern nur als Ausdruck der Demokratie zu rechtfertigen ist. Unter politischen Bedingungen, in denen immer weniger Entscheidungen von demokratisch legitimierten Institutionen gefällt werden, stellt ziviler Ungehorsam dieser Perspektive zufolge gerade eine Möglichkeit des Einspruchs der Bürger gegen diese Entscheidungen dar, wo ihnen keine institutionalisierten Wege dafür offen stehen. In einem zweiten Schritt werde ich diese republikanische Deutung zivilen Ungehorsams im Anschluss an Philip Pettits Idee der ‚kontestatorischen’ Demokratie genauer skizzieren und argumentieren, dass auf diese Weise auch die bei Pettit unterbelichtete partizipatorische Dimension der Demokratie wieder stärker in den Blick gerückt werden kann. In einem dritten Schritt werde ich schließlich auf die aus republikanischer Sicht zu ziehenden Grenzen zivilen Ungehorsams eingehen und die These vertreten, dass ziviler Ungehorsam nur angesichts gravierender Demokratiedefizite legitim ist und selbst auf demokratiekonforme Weise organisiert werden muss. Wann diese Bedingungen erfüllt sind und wann nicht, werde ich abschließend anhand zweier aktueller Beispiele diskutieren.
Curriculum Vitae von Robin Celikates, M.A.
- Bis 2003: Philosophie, Politikwissenschaft (Göttingen, Potsdam, New School for Social Research (New York)). Abschluss: M.A.
- Gesellschaftskritik als soziale Praxis. Kritische Theorie nach der pragmatischen Wende (Bremen)
- Bremen
- Politische und Sozialphilosophie
- Philosophie der Sozialwissenschaften
- 2005 - 2007: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen
- 2007 - -: Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Politische Theorie, Universität Bremen
- Socialité et reconnaissance. Grammaires de l´humain, Paris: L´Harmattan 2007 (hg. zus. mit Georg W. Bertram, Christophe Laudou und David Lauer).
- „From Critical Social Theory to a Social Theory of Critique. On the Critique of Ideology after the Pragmatic Turn“, in: Constellations, 13 (2006), 1, S. 21-40.
- „Baustellen der Vernunft. 25 Jahre Theorie des kommunikativen Handelns“, in: WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung, 3 (2006), 2, S. 97-113 (zus. mit Arnd Pollmann).