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Sektionsredner

Professor Dr. Dagmar Borchers (Bremen) - Curriculum Vitae
Neu oder neumodisch? Die Neuroethik als neue Bereichsethik

Abstract

Ausgelöst durch den rasanten Fortschritt in den Neurowissenschaften erleben wir derzeit mit der Neuroethik die Geburt einer Bereichsethik aus dem Geiste des verantwortungsvollen, reflektierten Umgangs mit wissenschaftlichem Fortschritt. Die Tübinger Medizinethiker Matthis Synofzik und Georg Marckmann wollen die Etablierung einer neuen Bereichsethik generell an die Erfüllung zweier Kriterien binden:

1. Der gegebene Sachbereich muss eine „deskriptiv qualitativ eigenartige Klasse von Handlungen“ umfassen, also einen eigenständigen Handlungsbereich beschreiben.

2. Diese „qualitativ eigenartige Klasse von Handlungen“ muss zugleich auch normativ ei-genständige Probleme aufwerfen, also normative Probleme eigener Art.

Die Kriterien sollen einen Wildwuchs neuer Bereichsethiken verhindern und die Einrichtung einer Bereichsethik nur dann als notwendige und sinnvolle Unternehmung zulassen, wenn sich dort genuin neuartige ethische Probleme stellen, die bisher nicht in anderen Bereichsethiken thematisiert werden. Marckmann und Synofzik sehen im Fall der Neuroethik beide Kriterien erfüllt: Neuroethik wird von ihnen als eine Bereichsethik definiert, die sich auf das Nervensystem des Menschen bezieht. „Kein anderer Wissenschaftsbereich erforscht und manipuliert mit gleichartiger Unmittelbarkeit das individuelle Verhalten der Menschen zur Welt und zu sich. In dieser deskriptiven, sachhaltigen Besonderheit neurowissenschaftlicher Handlungen liegt auch ihre normative Besonderheit.“ „Durch externe Interventionen“, so beiden Autoren, „können interne mentale Vorgänge und wiederum das Verhalten zu diesen mentalen Vorgängen erforscht und beeinflusst werden.“

Der Schwerpunkt dieses Vortrags liegt auf dem inhaltlichen Zuschnitt der Neuroethik. Meine These ist, dass die beiden Autoren mit ihren zwei als notwendig und hinreichend bezeichneten Kriterien über das Ziel hinausschießen. Im Zuge einer kritischen Analyse der beiden Kriterien möchte ich zwei zentrale Bedenken äußern:

Zum einen ist zu überlegen, ob wir nicht gezwungen wären, auch die Existenzberechtigung anderer Bereichsethiken infrage zu stellen, wenn wir akzeptieren, dass beide Kriterien erfüllt sein müssen. Gemäß dieser Kriterien kann z. B. auch die Tierethik nicht behaupten, eine rechtmäßig etablierte Bereichsethik zu sein. Wenn wir also so streng sein wollen wie Marckmann und Synofzik, mit der Absicht, ein unkontrolliertes Wuchern von Gegenstandsbereichen zu verhindern, müssten wir diese bereits etablierten Bereichsethiken in Frage stellen. Das spricht nicht gegen die Definition der beiden Medizinethiker; sie zu akzeptieren liefe allerdings auf einen Umbau unseres Arbeitsbereiches „Angewandte Ethik“ hinaus, will man sich nicht einer ungerechtfertigten Strenge gegenüber der Neuroethik schuldig machen.

Zwischenfazit: Um die Neuroethik als Bereichsethik zu verteidigen, braucht man vielleicht keine normativen Probleme eigener Art auszuweisen — zumindest dann nicht, wenn man an alle Bereichsethiken dieselben Standards anlegen will.

Zum anderen ist für den inhaltlichen Zuschnitt der Neuroethik entscheidend, ob man das zweite Kriterium so verstehen soll, dass innerhalb der Neuroethik dann auch nur jene Fragen, die unmittelbar diese bereichsspezifischen normativen Probleme thematisieren, verhandelt werden sollen. Aber was ist mit jenen moralischen Schwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der neurowissenschaftlichen Forschung ergeben, aber in ethische Fragen münden, die nicht in diesem Sinne bereichsspezifisch sind, sondern möglicherweise seit langer Zeit Thema der der Ethik sind? Ein Beispiel ist die Frage, welche Bewusstseinszustände wir Tieren im Rahmen neurowissenschaftlicher Versuche zumuten dürfen. Diese Frage wäre bei einer strengen Auslegung des zweiten Kriteriums deshalb nicht erlaubt, weil Tiere laut Marckmann und Synofzik gar nicht als nicht normatives Problem der Neuroethik auftauchen. Am Beispiel eines neurowissenschaftlichen Experiments mit Ratten werde ich zeigen, dass das zweite Kriterium uns in Hinblick auf die ethische Analyse einen zu engen Rahmen vorgibt: Es ist nicht ausschließlich der externe Zugriff auf interne mentale Vorgänge, der uns im Kontext neurowissenschaftlicher Forschung beunruhigt. Wenn man dieses Kriterium zugrunde legt, wird der Blickwinkel des Ethikers stark eingeschränkt. Eine solche Einschränkung der Perspektive ist aber weder sinnvoll noch notwendig.

Fazit: vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Bereichsethiken kommen wir mit dem ersten Kriterium aus und können das zweite Kriterium aufgeben. Wenngleich es einleuchtet, strenge Kriterien für die Genese einer neuen Bereichsethik zu fordern, sprechen nicht nur die damit einher gehenden Klassifikationsprobleme ethischer Fragen gegen eine zu enge inhaltliche Definition der Neuroethik. Wir müssen abwägen, ob wir durch einen strengen Anforderungskatalog mehr gewinnen als wir durch einen abgeschwächten Anspruch an eine Bereichsethik verlieren würden.

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Curriculum Vitae von Professor Dr. Dagmar Borchers

Studium:
  • Philosophie, Sprach- & Literaturwissenschaften, Theaterwissenschaften (München, Hamburg, Bremen)
Promotion:
  • 2001: Die neue Tugendethik - Schritt zurüvc kim Zorn? (Bayreuth)
Habilitation:
  • 2008: Die Ausstiegsoption in der Minderheitenrechtedebatte des Liberalismus (Bayreuth)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Bremen
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Die Ausstiegsoption im Liberalismus
  • Argumentationsstrategien in der Angewandten Ethik
  • Kriterien und Grenzen ethisch zulässiger Tierversuche
Berufliche Stationen:
  • 2004: Juniorprofessur
Wichtigste Publikation(en):
  • Die neue Tugendethik - Schritt zurück im Zorn?; Paderborn: Mentis 2001
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