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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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Universität Duisburg-Essen
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FAQ

Sektionsredner

Sabine Ammon, M.A. (Berlin) - Curriculum Vitae
Verstehen, Wissen und Lebenswelt

Abstract

Der traditionelle Wissensbegriff steckt in einer tiefen Krise, kann er doch seine eigenen Ansprüche nicht aufrecht erhalten. In einer eingehenden Prüfung zeigt sich Wissen weder als zeitlos und gewiss, noch als wertneutral, objektiv und im strengen Sinn allgemeingültig; die Orientierung an einer idealisierten Wissenschaft stellt sich als zu eng heraus, die Entkopplung von Praxis und Lebenswelt entpuppt sich als weltfremd. Der Beitrag macht es sich zur Aufgabe, nach den Ursachen dieser vernichtenden Bilanz zu suchen. Hierbei wird deutlich, dass der klassische Zugang einer Wissensbegründung aus einer rekonstruierenden Perspektive gesucht wird. Ein Zugang, der sich aus epistemischer Sicht als folgenschwer herausstellt.

In der rekonstruierenden Konstitution, einflussreich beispielsweise in Carnaps „Aufbau“ vertreten, werden alle Wissensanwärter – in der Regel Aussagesätze – einem Prüfungsverfahren unterzogen. Das Ziel ist ein kohärentes und konsistentes Wissenssystem; können sie die Hürde nehmen, werden sie Teil des Systems – andernfalls als falsch, unsinnig oder sinnlos entlarvt und aussortiert. Das Verfahren setzt nicht nur die Möglichkeit einer eindeutigen Grenzziehung voraus, sondern unterstellt auch, das der Status als Wissen für alle Zeit gültig ausgezeichnet werden kann. Versuche, diesen Zugang umzusetzen, führen zu erheblichen Problemen. Lange Zeit wurde angenommen (und wird es bis heute vielfach), es würde ausreichen, nach einer besseren Umsetzung zu suchen. Doch die Ursachen der Probleme liegen tiefer.

Erst mit einem Perspektivenwechsel, der von den Vorgängen des Verstehens ausgeht, beginnt sich das Blatt zu wenden. Mit den dynamischen, aktiv-konstruierenden Verstehensprozessen gelingt es, die lebensweltliche Verflechtung aller Erkenntnisprozesse sichtbar zu machen. Verstehen gleicht hierbei einem Entwerfen, bei dem sich in einem Wechselspiel zwischen individuellen Freiräume und überindividueller Vorgaben neue Zusammenhänge einspielen. Vielfältige Einflüsse können auf diesen Vorgang einwirken: das Spektrum reicht von persönlichen Vorprägungen, angeboren wie auch erworben, Erfahrungen aus vergangenen Verstehensprozessen, den Bedingungen der konkreten Situation, Techniken und Praxen des sprachlichen und kulturellen Hintergrundes. Im dieser Art entwerfenden Verstehen wird gewichtet, strukturiert und systematisiert; Vorgänge, die die Grundlage des epistemischen Aufstiegs bilden, der mit jedem Verstehensvorgang einhergeht. Folglich lässt sich Verstehen als kontext- und situationsgebunden charakterisieren; es zeigt sich als abhängig von historischen und kulturellen Bedingungen und unterliegt deutlich individuellen Voraussetzungen und Einflüssen; in seiner großen Bandbreite gelingt mit ihm ein umfassender Zugang zu erkenntnistheoretischen Fragestellungen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Probleme des Wissensbegriffs in einem neuen Licht. Der Einblick in das Verstehen macht deutlich, dass zwischen Prozessen und ihren Ergebnissen unterschieden werden muss. Wissen wird so zu einer Bestandsaufnahme kontinuierlicher Prozesse. Eng damit verknüpft sind Systematisierungen, Schematisierungen und Reduktionen. Die damit zusammenhängende Tendenz zur Verallgemeinerung, Objektivierung und Idealisierung vermag nun eine Reihe der Probleme aufzuklären. Denn solange unberücksichtigt bleibt, dass auf diese Weise eine Entkopplung von den ursprünglichen lebensweltlichen Zusammenhängen stattfindet, kommt es zu falschen Schlüssen und Missverständnissen bei weiterführenden erkenntnistheoretischen Überlegungen.

Auf dieser Grundlage wird auch ein weitaus differenzierterer Wissensbegriff zugänglich, dem es gelingt, zwischen verschiedenen Manifestationsformen zu unterscheiden, gesellschaftliche Abhängigkeiten zu verdeutlichen und historische Abläufe zu skizzieren. Damit ist auch eine Brücke zu sozialwissenschaftlichen und geschichtlichen Fragestellungen geschlagen. Verglichen mit dem traditionellen Wissensbegriff mag diese Konzeption weit weniger spektakulär erscheinen. Aber möglich ist es nun, die erkenntnistheoretische Betrachtung aus einer Reihe von Sackgassen zu befreien und für neue Fragestellungen zu öffnen.

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Curriculum Vitae von Sabine Ammon, M.A.

Studium:
  • Philosophie, Architektur (Technische Universität Berlin, University of London)
Promotion:
  • Wissen verstehen. Zur zeichentheoretischen Revision der Erkenntnis (Technische Universität Berlin)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Technische Universität Berlin
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Sprach- und Zeichenphilosophie
  • Wissens- und Wissenschaftstheorie
  • Architekturtheorie und -ästhetik
Wichtigste Publikation(en):
  • Wissen in Bewegung. Vielfalt und Hegemonie in der Wissensgesellschaft. Hrsg. mit Corinna Heineke & Kirsten Selbmann, Weilerswrist: Velbrück, 2007.
  • Wissensverhältnisse im Fokus. Eine erkenntnistheoretische Skizze zum Post-Pluralismus. In: Wissen in Bewegung. Vielfalt und Hegemonie in der Wissensgesellschaft, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2007, S. 59-77.
  • Was weiß die Kunst? Zur Relevanz künstlerischen Wissens in der Wissensgesellschaft. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Die Verfaßtheit der Wissensgesellschaft, Münster: Westfälisches Dampfboot 2006, S.72-81.
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