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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

Institut für Philosophie
Stichwort: Kongress 2008
Universität Duisburg-Essen
Universitätsstr. 12
45117 Essen

Häufig gestellte Fragen

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FAQ

Presseerklärung

Presseinformation zum XXI. Deutschen Kongress für Philosophie „Lebenswelt und Wissenschaft“

Vom 15. bis 19. September 2008 findet an der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, der XXI. Deutsche Kongress für Philosophie statt. Veranstalter ist die Deutsche Gesellschaft für Philosophie e.V. , die als größte Vereinigung deutsch-sprachiger Philosophen im dreijährigen Turnus und an wechselnden Orten durch den Kongress den Austausch wissenschaftlicher Ergebnisse fördern möchte. Derzeitiger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V. ist Carl Friedrich Gethmann, Professor für Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Weitere Informationen können der Homepage des Kongresses www.dgphil2008.de entnommen werden. Ansprechpartner für die Presse ist Carl Bottek, der per Email unter  carl.bottek uni-duisburg-essen.de kontaktiert werden kann.

Schirmherr des Kongresses ist der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Jürgen Rüttgers. In seiner Vertretung wird der stellvertretende Ministerpräsident und Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen,  Professor Dr. Andreas Pinkwart, den Kongress während der Eröffnungsfeier, die am Montag, dem 15. September, ab 10 Uhr im Essener Audimax veranstaltet wird, eröffnen. Der Oberbürgermeister der Stadt Essen Dr. Wolfgang Reiniger sowie der Rektor der Universität Duisburg-Essen Professor Dr. Ulrich Radtke werden Grußworte sprechen. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V., Professor Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann wird den Festvortrag zum Thema „Philosophie zwischen Lebenswelt und Wissenschaft“ halten. Um 13 Uhr findet im kleinen Hörsaal des Audimax eine Pressekonferenz statt, in der der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V. Professor Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann Vertretern der Presse zur Verfügung stehen wird.

Wissenschaftliche Konzeption

Unter dem Titel „Lebenswelt und Wissenschaft“ wird sich der Kongress schwerpunktmäßig mit Fragen beschäftigen, die an der Nahtstelle von philosophischem Denken und fachwissenschaftlichen Forschungen einerseits sowie philosophischem Denken und aktuellen gesellschaftlichen Problemlagen andererseits liegen. Das Kongressthema spielt unübersehbar auf Husserls Krisis-Schrift an, in der das Verhältnis von Lebenswelt und Wissenschaft mit Blick auf die Fragen der theoretischen Philosophie als Begründungsverhältnis, mit Blick auf die Fragen der praktischen Philosophie als Aufklärungsverhältnis expliziert wird. Im Verhältnis von Lebenswelt und Wissenschaft sieht Husserl das Fundament des „Europäischen Menschentums“, d.h. – etwas zurückhaltender ausgedrückt – die Basis für Selbstverständigung einer wissenschaftlich-technischen Kultur über ihre theoretischen und praktischen Grundlagen.

Fragestellungen des angesprochenen Typs werden in den letzten Jahren unter den Titel der „Angewandten Ethik“ oder „Angewandten Philosophie“ subsumiert. Dazu gehören die Themengruppen des technischen Handelns, des Umgangs mit der Natur und der medizinischen Ethik. Diese drei Bereiche sollen in der Tat im Kongressprogramm eine wichtige Rolle spielen. Es sollen aber auch Themenbereiche angesprochen werden, die bei den bisherigen Kongressen eher am Rande standen, wie die Rechtsphilosophie oder die Musikästhetik. Unter Rückgriff auf eine von Hermann Krings eingeführte Redeweise können diese Fragen den exoterischen Aufgaben der Philosophie in Abgrenzung zu den esoterischen Aufgaben zugeordnet werden. Der Kongress soll der Gesellschaft und Öffentlichkeit demonstrieren, was die professionelle Philosophie (d.h. die „Berufsphilosophen“, die im deutschen Feuilleton eine beliebtes Objekt von Sottisen sind) für die Gesellschaft durch ihr Denken „tut“. Selbstverständlich kann die Philosophie ihre exoterischen Aufgaben nur wahrnehmen, wenn sie auf ihre „esoterischen“ Rückräume zugreifen kann. Deswegen werden sich Kolloquien und Sektionen vor allem auch mit diesen Übergangsverhältnissen befassen. Die traditionellen Subdisziplinen der Philosophie wie Logik, Wissenschaftstheorie und Sprachphilosophie, aber auch Kulturtheorie und Ästhetik sollen mit dieser Akzentsetzung präsent sein. Es wird allerdings keine eigenen philosophiehistorischen Kolloquien und Sektionen geben. Von den Referenten wird erwartet, dass sie die historischen Bezüge in ihre Überlegungen integrieren. Allerdings gibt es eine durch die Themenstellung des Kongresses motivierte Ausnahme. Die Phänomenologie wird sich in Kolloquien und Sektionen mit dem Lebenswelt-Thema befassen.

Der Kongress wird sich traditionsgemäß in Kolloquien und Sektionen gliedern. In den Kolloquien, die vormittags stattfinden, halten nach einer Einführung in das Thema des Kolloquiums durch den Kolloquiumsleiter je drei Redner einen 45-minütigen Vortrag mit anschließender Diskussion (je 30 Minuten). Die Einladung der Kolloquiumsredner erfolgt durch den Präsidenten auf Grund der Vorschläge, die die ernannten Kolloquiumsleiter dem Präsidenten machen. Der Präsident der Gesellschaft hat lediglich die Kolloquiumsleiter benannt und ihnen ein grobes Rahmenthema vorgeschlagen. Die Gestaltung der Kolloquien durch Benennung der Redner und die Formulierung des Themas des Kolloquiums ist durch die Kolloquiumsleiter selbst festgelegt worden. Auf diese Weise soll die Pluralität der Arbeitsansätze und Konzeptionen dokumentiert werden, die gerade bei der Themenstellung des Kongresses deutlich gemacht werden muss. – Informationen zu den einzelnen Kolloquien sowie den Leitern finden sich im Programm auf den Seiten 6 und 7 sowie 34ff, 66ff, 78ff und 106ff.

Während in den Kolloquien zumeist renommierte Wissenschaftler zu Wort kommen, sollen in den Sektionen, die nachmittags stattfinden, vorrangig Nachwuchswissenschaftler die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeit zu präsentieren und zu diskutieren. Für die Sektionsvorträge sind jeweils 40 Minuten inklusive Diskussion vorgesehen. Pro Sektion werden fünf Redner eingeladen; die Einladung erfolgt durch die ernannten Sektionsleiter auf Basis der über ein Onlineformular eingereichten Exposés. Nach Ablauf der Frist lagen deutlich über 400 Vorschläge für Sektionsvorträge vor, aus denen die Sektionsleiter eine Auswahl von etwa 250 Vorträgen nach Kriterien der Qualität und der thematischen Passung treffen müssen. – Informationen zu den einzelnen Sektionen sowie ihren Leitern finden sich im Programm auf den Seiten 8 und 9 sowie 14ff, 35, 46ff, 79 und 89ff.

Neben den Kolloquien und Sektionen wird es zwei öffentliche Abendvorträge geben, für die Julian Nida-Rümelin („Lebenswelt und Praktische Philosophie“, Di. 16.09., 20 Uhr im Audimax) und Wolfram Hogrebe („Riskante Lebensnähe“, Do. 18.09., 20 Uhr im Audimax) gewonnen werden konnten; den Abschlussvortrag wird Jürgen Habermas („Von den Weltbildern zur Lebenswelt“, Fr. 19.09., 14 Uhr im Audimax) halten. Jürgen Habermas wird gemäß Beschluss des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V. bei diesem Anlass die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft verliehen. Außerdem findet am Mi. 17.09., 20 Uhr im Alfried Krupp Saal der Philharmonie ein öffentliches Konzert statt; das Neue Orchester und Chorus Musicus Köln unter Leitung von Christoph Spering spielt die 9. Symphonie Ludwig van Beethovens.

Während des gesamten Kongresses wird im Hörsaalzentrum eine Buchausstellung stattfinden, an der etwa zwanzig renomierte Verlage teilnehmen. Eine Aufstellung der Verlage findet sich im Programm ab Seite 117.

Es werden zum Kongress etwa 1000 Teilnehmer erwartet. Insgesamt werden ca. 350 Vorträge gehalten. Dabei kommen nicht nur deutsche Philosophen zu Wort, sondern auch etliche (insgesamt 66) Redner aus dem europäischen und nicht-europäischen Ausland – aus Belgien (2), den Niederlanden (4), der Schweiz (16), Österreich (5), Dänemark (1), Norwegen (1), Ungarn (1), Rumänien (1), Weißrussland (1), Italien (3), Frankreich (3), Großbritannien (7), Griechenland (1), der Türkei (1), Mexiko (2), China (4) und den USA (13).

Sponsoren

Hauptsponsor des Kongresses ist die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Der Kongress wird ferner unterstützt von der Kulturstiftung Essen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Universität Duisburg-Essen. Der Veranstalter dankt den genannten Institutionen für ihre großzügige Unterstützung.

Personen

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V. und Veranstalter des XXI. Deutschen Kongresses für Philosophie ist Carl Friedrich Gethmann.

Professor Dr. Dr. h.c. Gethmann (*1944) studierte bis 1968 Philosophie in Bonn, Innsbruck und Bochum. 1971 wurde er an der Ruhr-Universität Bochum promoviert. 1978 habilitierte er sich an der Universität Konstanz. 2003 wurde er an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Ehrenpromotion geehrt. Gethmann ist seit 1979 Professor für Philosophie an der Universität Essen sowie seit 1996 Direktor der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH. Er ist Mitglied in der Academia Europaea (London), ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (Halle) sowie Mitglied der Bio-Ethik Kommission des Landes Rheinland Pfalz. Seit 2005 ist Gethmann Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V.

Wichtigste Veröffentlichungen sind „Protologik“ (1979), „Gesundheit nach Maß?“ (2004) und „Vom Bewußtsein zum Handeln“ (2007). Ein umfassendes Schriftenverzeichnis findet sich unter http://www.uni-due.de/imperia/md/content/philosophie/gethmann_publikationen.pdf.

Weitere Informationen bietet die Seite www.uni-due.de/philosophie/personen.php?ID=101.

Der Münchener Philosophie-Professor und ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin wird am Dienstag, dem 16. September, von 20 bis 21 Uhr einen Vortrag mit dem Thema „Lebenswelt und Praktische Philosophie“ halten. Die Veranstaltung findet im Audimax auf dem Essener Campus statt und kann kostenfrei von allen Interessierten besucht werden.

Professor Dr. Julian Nida-Rümelin (*1954) studierte Philosophie, Physik, Mathematik und Politikwissenschaften in München, wo er auch promoviert wurde und sich 1989 habilitierte. Nach einer Gastprofessur in den USA hatte er Lehrstühle in Tübingen und Göttingen inne, bevor er 2004 an die Universität München berufen wurde. In den Jahren 2001 und 2002 war Nida-Rümelin als Kulturstaatsminister Mitglied der Bundesregierung. 2007 war er Scientist in Residence an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Europäischen Akademie der Wissenschaften.

Wichtigste Schriften sind „Kritik des Konsequentialismus“ (1993), „Strukturelle Rationalität“ (2001), „Über menschliche Freiheit“ (2005) sowie „Demokratie und Wahrheit“ (2006). Ein umfassendes Schriftenverzeichnis findet sich unter www.nida-ruemelin.de/schrift.html.
Weitere Informationen können der Homepage www.nida-ruemelin.de entnommen werden.

Der Bonner Philosophie-Professor Wolfram Hogrebe wird am Donnerstag, dem 18. September, von 20 bis 21 Uhr einen Vortrag mit dem Thema „Riskante Lebensnähe“ halten. Die Veranstaltung findet im Audimax auf dem Essener Campus statt und kann kostenfrei von allen Interessierten besucht werden.

Professor Dr. Wolfram Hogrebe (*1945) studierte Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaft, Informationswissenschaft und Pädagogik in Münster, München und Düsseldorf.  Er hatte Lehrstühle für Philosophie an den Universitäten Düsseldorf und Jena inne, bevor er 1996 an die Universität Bonn berufen wurde. Er war Gastprofessor an den Universitäten Belo Horizonte (Brasilien), Kairo (Ägypten) und Heidelberg. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, der Akademie für Gemeinnützige Wissenschaften zu Erfurt, der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften zu Düsseldorf sowie des Institut International de Philosophie/Paris. Von 1999 bis 2002 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V.

Wichtigste Veröffentlichungen sind „Metaphysik und Mantik“ (1992), „Ahnung und Erkenntnis“ (1996), „Echo des Nichtwissens“ (2006) sowie „Wirklichkeit des Denkens“ (2007).
Weitere Informationen können seiner Homepage http://www.uni-bonn.de/www/IPHIL/Mitarbeiter/Hogrebe.html entnommen werden.

Professor Jürgen Habermas wird am Freitag, dem 19. September, von 14 bis 15 Uhr einen Vortrag mit dem Thema „Von den Weltbildern zur Lebenswelt“ halten. Er wird gemäß Beschluss des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V. bei dieser Veranstaltung die Ehren-Mitgliedschaft der Gesellschaft verliehen. Der Vortrag findet im Audimax auf dem Essener Campus statt und kann kostenfrei von allen Interessierten besucht werden.

Professor em. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Habermas (*1929) gilt als international bekanntester deutscher Philosoph. Zunächst ausgehend von Gedanken der Frankfurter Schule Horkheimers und Adornos entwickelte Habermas eine viel diskutierte Diskurstheorie der Moral und des Rechts. Habermas wurde 1965 als Nachfolger Horkheimers auf den Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie an der Universität Frankfurt berufen. 1971 folgte er einem Ruf an das Starnberger Max-Planck-Institut, das er gemeinsam mit Carl Friedrich von Weizsäcker leitete. 1983 wurde er wieder an die Universität Frankfurt gerufen, wo er bis zu seiner Emeritierung als Professor für Philosophie lehrte.

Jürgen Habermas ist unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2001), dem Kyoto-Preis (2004) und dem Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen (2006) ausgezeichnet. Er trägt Ehrendoktor-Titel der Universitäten Jerusalem, Buenos Aires, Hamburg, Utrecht, Northwestern University Evanston, Athen und Tel Aviv.

Seine wichtigsten Publikationen sind „Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981), „Erläuterungen zur Diskursethik“ (1991), „Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?“ (2001) und „Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze“ (2005). Ein umfassendes Schriftenverzeichnis findet sich unter http://d-nb.info/gnd/118544209.

Carl Friedrich Gethmann / Philosophie zwischen Lebenswelt und Wissenschaft

- Résumé des Eröffnungsvortrags -

1 Lebenswelt und Wissenschaft
Das Kongreßthema „Lebenswelt und Wissenschaft“ spielt unübersehbar auf Husserls Krisis-Schrift (entstanden 1925/36) an, in der Husserl das kritische Verhältnis von Lebenswelt und Wissenschaft als Ursache der Krise des „europäischen Menschentums“ diagnostiziert. Unter der „Lebenswelt“ versteht Husserl dabei nicht einfach eine Domäne von Tatsachen, sondern den „Bereich guter Bewährung“, den die Menschen so ausbilden, „wie die ihren Sinn bestimmenden praktischen Vorhaben des Lebens es selbst fordern“. Die Lebenswelt umfaßt damit das Ensemble derjenigen operativen und kognitiven Überzeugungen, mit deren Hilfe sich der Mensch mehr oder weniger erfolgreich in seiner Welt zurechtzufinden sucht und deren Defizite ihn veranlassen, durch die Ausbildung wissenschaftlichen Wissens sowie anderer universeller Geltungsphänomene wie Ethos und Recht, diese Mängel zu kompensieren.

Husserl sieht eine Krise in dreifacher Steigerung hinsichtlich ihrer Bestimmung und ihrer Folgen. Die erste Stufe der Krise ist eine Krise der Wissenschaften, die darin besteht, daß die Wissenschaften das Bewußtsein für ihr lebensweltliches Fundament verloren haben. Diese erste Krise bringt eine zweite hervor: Eine sich ihrer lebensweltlichen Wurzeln nicht mehr bewußte Wissenschaft kann für sich und ihre technischen Folgen kein Verständnis mehr vermitteln. Die Menschen stehen dem, was in der Wissenschaft und auf ihrer Grundlage geschieht, mit Unverständnis, ja Fremdheit gegenüber. Dadurch wirken die Wissenschaften auf das lebensweltliche Bewußtsein nicht mehr als Instrument der Aufklärung zurück und verlieren ihre Immunkräfte gegen Pseudowissenschaft und Obskurantismen aller Art. Der Verlust der Aufklärungsfunktion hat drittens die Krise im Vollsinne zur Folge, nämlich die Krise des „europäischen Menschentums“. Husserl sieht das Syndrom von Aufklärung, Wissenschaft und Humanismus gefährdet, das schon der griechischen Philosophie als Ziel vorschwebte, sich jedoch erst seit der Renaissance als Kern des „europäischen Menschentums“ herauskristallisiert hat: das Projekt, „ein Menschentum aus philosophischer Vernunft sein zu wollen und nur als solches sein zu können“. Mit der Krise des europäischen Menschentums meint Husserl somit eine Krise der globalen wissenschaftlich-technischen Kultur.

2 Die Aufgabe der Philosophie
Die Aufgabe der Überwindung der drei Ausprägungen der Krise spricht Husserl ohne Einschränkung der Philosophie zu. Ihr kommt es zu, die Krise zu bewältigen:

  • durch die Rekonstruktion der Fundierungsverhältnisse zwischen lebensweltlichen Nöten und der funktionellen Etablierung wissenschaftlichen Wissens;

  • durch die damit ermöglichte Aufklärungsarbeit der Wissenschaften gegenüber mehr oder weniger gut bestätigten lebensweltlichen Überzeugungen;

  • durch die Ausbildung eines lebenspraktisch wirksamen normativen Konsenses im Rahmen einer wissenschaftlich-technischen Kultur.

Durch diese Aufgabe ergibt sich die intellektuelle Sonderstellung der Philosophie zwischen Lebenswelt und Wissenschaft. „Wir sind also … in unserem Philosophieren Funktionäre der Menschheit“.

3 Philosophisches Argumentieren
Philosophie, die ihre Aufgabe angemessen wahrnimmt, befindet sich in einer Zwischenstellung zwischen lebensweltlichem Meinen und wissenschaftlichem Wissen. Sie ist irreduzibel auf beide Rationalitätsformen bezogen und jeweils von deren innerer Dynamik abhängig. Diese Labilität philosophischer Rationalität bringt zwei Neigungen mit sich, sie in falscher Weise aufzulösen. Auf der einen Seite steht die Philosophie in der Gefahr, sich als eine Form lebensweltlicher intelligenter Unterhaltung mißzuverstehen; auf der anderen Seite steht die Gefahr, daß sie versucht, sich zur Wissenschaft unter Wissenschaft zu stilisieren, und sich damit auf die Ebene einzelwissenschaftlicher Intelligenz zu begeben.

Dies führt auf die keineswegs triviale Frage, wie die Philosophie ihre eigenen Geltungsansprüche darzustellen hat, die sich weder auf die Kontingenzen lebensweltlicher Überzeugungen reduzieren lassen dürfen, noch am Anspruch einzelwissenschaftlicher Wissensbildung Maß nehmen dürfen. Lebensweltliches und wissenschaftliches Argumentieren läßt sich als regelgeleitete Abfolge von Redehandlungen eines bestimmen Typs rekonstruieren: als Diskurs. Diskursive Wissensbildung ist nur dann möglich, wenn Diskursparteien sich zumindest unabhängig vom jeweiligen Diskurs über etwas einig sind, was nicht bezweifelt wird. Diskursives Einverständnis ist nur möglich, wenn ein wenigstens implizites prä-diskursives Einverständnis besteht.

Vorschläge und Empfehlungen sind Beispiele für sprachliche Handlungen, durch die Elemente prä-diskursiver Einverständnisse eingeführt und in der Folge auch funktionell kontrolliert werden können. Philosophie treibt man, wenn man die Instrumente untersucht, die über prä-diskursive Einverständnisse zu urteilen erlauben, wenn auch jenseits der Prozeduren diskursiver Wissensbildung. Eine humane und aufgeklärte Form des gesellschaftlichen Lebens hängt wesentlich von den prä-diskursiven Redemitteln ab, welche die Mitglieder der Gesellschaft sich zu erarbeiten in der Lage sind, d.h. letztlich — vom Zustand der Philosophie.

4 Die exoterische Aufgabe der Philosophie
Die Arbeit an der Erzeugung prä-diskursiver Einverständnisse ist in der Philosophie professionalisiert, und daher – wie alle professionelle Arbeit – „esoterisch“. Die Zweckperspektive ist jedoch eine exoterische, die man nach einem Vorschlag von J. Mittelstraß als die der „Gesellschaftsberatung“ bezeichnen kann. Unter dem Titel „Lebenswelt und Wissenschaft“ wird sich der Kongreß daher schwerpunktmäßig mit Fragen beschäftigen, die an der Nahtstelle von philosophischem Denken und fachwissenschaftlichen Forschungen einerseits sowie philosophischem Denken und aktuellen gesellschaftlichen Problemlagen andererseits liegen. Der Kongreß soll damit der Gesellschaft und Öffentlichkeit demonstrieren, was die professionelle Philosophie „für die Gesellschaft“ durch ihr Denken „tut“.

Fragestellungen des angesprochenen Typs werden in den letzten Jahren unter den Titel der „Angewandten Ethik“ oder „Angewandten Philosophie“ subsumiert. Dazu gehören die Themengruppen des technischen Handelns, des umsichtigen Umgangs mit der Natur und der medizinischen Ethik. Diese drei Bereiche werden in der Tat im Kongreßprogramm eine wichtige Rolle spielen. Es sollen aber auch Themenbereiche angesprochen werden, die bei den bisherigen Kongressen eher am Rande standen, wie etwa die Rechtsphilosophie oder die Musikästhetik.

Selbstverständlich kann die Philosophie ihre exoterischen Aufgaben nur wahrnehmen, wenn sie auf ihre „esoterischen“ Rückräume zugreifen kann. Deswegen werden sich Kolloquien und Sektionen vor allem auch mit diesen Übergangsverhältnissen befassen. Die traditionellen Subdisziplinen der Philosophie wie Logik, Wissenschaftstheorie und Sprachphilosophie, aber auch Kulturtheorie und Ästhetik sollen mit dieser Akzentsetzung präsent sein.

Carl Friedrich Gethmann

Universitätsprofessor Dr. phil. habil. Dr. phil. h.c., lic. phil.

Geb. 1944; Studium der Philosophie in Bonn, Innsbruck und Bochum; 1968 lic. phil. (Institutum Philosophicum Oenipontanum); 1971 Promotion zum Dr. phil. (Ruhr-Universität Bochum); 1978 Habilitation für „Philosophie“ (Universität Konstanz). 2003 Ehrenpromotion zum Dr. phil. h.c. an der Humboldt-Universität zu Berlin. - 1968 wiss. Assistent; 1972 Universitätsdozent für Philosophie an der Universität Essen; 1978 Privatdozent an der Universität Konstanz; seit 1979 Professor für Philosophie an der Universität Essen; weitere Lehrtätigkeiten an den Universitäten Düsseldorf und Göttingen. - Berufungen auf Ordentliche Professuren (C4) an die Universität Oldenburg (1990), die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Stuttgart (1991) sowie an die Universitäten Essen (1991), Konstanz (1993) und Bonn (1995); seit 1994 Kuratoriumsmitglied der Karl Heinz Beckurts Stiftung; seit 1996 Direktor der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH. - Mitglied der Academia Europaea (London); o. Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; o. Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina (Halle); Mitglied der Bio-Ethik Kommission des Landes Rheinland Pfalz; Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V.; Vierdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

Forschungsschwerpunkte (laufend) und Veröffentlichungen (Auswahl):
1. Sprachphilosophie / Philosophie der Logik

Protologik (1979); Theorie des wissenschaftlichen Argumentierens (Hrsg. 1980); Logik und Pragmatik (Hrsg. 1982); Letztbegründung vs. lebensweltliche Fundierung des Wissens und Handelns (1987); Sprache (mit G. Siegwart 1991); Reden und Planen (1996); Wahrheit und Beweisbarkeit (2000); Logik und Topik (2002); Anti-Mentalismus (mit Th. Sander, 2002); Einführung in die Sprachphilosophie (in Vorb.).

2. Phänomenologie
Verstehen und Auslegung (1974); Lebenswelt und Wissenschaft (Hrsg. 1991); Dasein: Erkennen und Handeln. Heidegger im phänomenologischen Kontext (1993); Hermeneutische Phänomenologie und Logischer Intuitionismus (2001); Vom Bewusstsein zum Handeln (in Vorb.).

3. Angewandte Philosophie (Medizinische Ethik / Umweltethik / Technikfolgenabschätzung)
Proto-Ethik (1982); Ethische Aspekte des Handelns unter Risiko (1987); Praktische Geltungsansprüche und ihre Einlösung (1991); Umweltstandards (mit K. Pinkau et al. 1992, engl. 1998); Lebensweltliche Präsuppositionen praktischer Subjektivität (1993); Zur Ethik des Handelns unter Risiko im Umweltstaat (1993); Technikfolgenbeurteilung der bemannten Raumfahrt (mit P. Janich und H. Sax 1993); Langzeitverantwortung als ethisches Problem im Umweltstaat (1993); Ethische Probleme der Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat (1995); Heilen: Können und Wissen (1996); Zu Ethik des umsichtigen Naturumgangs (1996); Technikfolgenabschätzung (mit A. Grunwald 1996); Praktische Subjektivität und Spezies (1998); Rechtfertigungsdiskurse (1999); Das abendländische Vernunftprojekt und die Pluralität der Kulturen (2000); Umweltstandards. Kombinierte Expositionen und ihre Auswirkungen auf den Menschen und seine Umwelt (mit C. Streffer et. al 2000, engl. 2003); Philosophie und Technik (mit A. Gethmann-Siefert, 2000); Praktische Vernunft und technische Kultur (2002); Die Natürlichkeit der Natur und die Zumutbarkeit von Risiken (Hrsg mit L. Honnefelder, O. Schwemmer und L. Siep 2001); Tierschutz als Staatsziel (2001); Environment across Cultures (Hrsg. mit C. Ehlers, 2003); Wissen als Macht (2003); Ethische Probleme der Molekularen Medizin (mit F. Thiele, 2003); Gesundheit nach Maß? (mit W. Gerok, H. Helmchen et al. 2004); Ethische Probleme einer langfristigen Energieversorgung (mit Ch. Streffer, K. Heinloth, K. Rumpff, A. Witt, 2005); Herausgeber der Schriftenreihe Wissenschaftsethik und Technikfolgenbeurteilung (Springer Berlin u.a. 1999 ff) und der Zeitschrift POIESIS & PRAXIS (Springer Berlin u.a. 2001 ff).

Drittmittelprojekte:
1. „Umweltstandards“ (Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1.1.1988 - 31.12.1990; abgeschlossen); 2. „Umweltstaat“ (Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung, Ladenburg, 1.5.1989 - 31.12.1994; abgeschlossen); 3. „Technikfolgenbeurteilung am Beispiel der bemannten Raumfahrt“ (BMFT und Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt e.V., Köln-Porz, 1.9.1990 - 30.11.1992; abgeschlossen); 4. Netzwerk BioEthik NRW: „Gentechnik bei Pflanze und Tier“ (MWF NRW; 1.9.1990 - 30.3.1992; abgeschlossen); 5. Ethische Probleme der Keimbahnintervention (Forschungsstipendium der Karl Heinz Beckurts-Stiftung, mit Jörg Fey; 1.8.1993 - 31.7.1994; abgeschlossen); 6. Natürlichkeit der Natur und Zumutbarkeit von Risiken im Bereich der Gentechnik bei Pflanze und Tier (DFG 1.8.1993 - 31.7.1997; abgeschlossen); 7. Neue Werkstoffe in der Verkehrstechnik (BMBF, 01.12.95 - 31.12.96; abgeschlossen); 8. Gesundheitsstandards (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (01.10.1999 – 31.12.2003); „LandInnovation – Zukunftsorientierte Nutzung ländlicher Räume“ (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (laufend).