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FAQ

Sektionsredner

Professor Dr. Manfred Stöckler (Bremen) - Curriculum Vitae
Eine erklärungspragmatische Theorie der Emergenz

Abstract

Die Gegenstände und Eigenschaften unserer Lebenswelt sind ganz andere als diejenigen, von denen die fundamentalen Theorien der Physik handeln. Es ist völlig legitim, dass die Biologie mit Begriffen und Gegenständen arbeitet, die in der Physik nicht vorkommen, und dass die Analyse unseres Denkens und Fühlens nicht mit den Begriffen der Biologie auskommt. Es gibt aber auch ein berechtigtes Interesse, die Beziehungen zwischen den schichtenspezifischen Beschreibungen zu studieren, sei es aus theoretischen Gründen, weil man z. B. wissen will, ob die Ergebnisse der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zu einem einheitlichen Weltbild zusammengefügt werden können, sei es aus praktischen Gründen, weil man gezielt in die in komplexen Systemen ablaufenden Prozesse eingreifen will.

In diesem Zusammenhang wird oft und in vielerlei Bedeutung von Emergenz gesprochen. Man assoziiert damit vor allem Systemeigenschaften, die die Merkmale von Neuartigem, Unvorhersagbarem und Irreduziblem haben. Einige Autoren wollen den Begriff der Emergenz überhaupt vermeiden, weil sie ihn z. B. mit der These in Verbindung bringen, dass die besonderen Eigenschaften des Lebendigen auf einer speziellen, zu den Gesetzen der Physik hinzukommenden Lebenskraft beruhten. Konträr zu dieser These steht die Auffassung, dass die fundamentalen Theorien der Physik keine „Lücke“ lassen und emergente Eigenschaften deshalb jedenfalls im Prinzip auf die Eigenschaften der Komponenten und ihrer Wechselwirkungen reduzierbar sein müssten.

Emergenztheorien versuchen in der Regel einen dritten Weg zwischen „vitalistischen“ ontologischen Postulaten und schlichten mechanistischen Reduktionsforderungen. Die verwirrende, das ganze letzte Jahrhundert andauernde Diskussion zeigt, wie sehr noch umstritten ist, wozu die Einführung von „emergent“ und „Emergenz“ gut sein könnte und im Lichte welcher Fragestellung man diese Begriffe am besten explizieren sollte.

Nach meiner Auffassung kann man emergente Phänomene nur über die Methodologie des Umgangs mit komplexen Systemen adäquat verstehen. In meinem Beitrag werde ich zeigen, dass dabei erklärungspragmatische Überlegungen an zwei verschiedenen Stellen wichtig werden: 1. Spezielle (z. B. schichtenspezifische) Erklärungsziele und pragmatische Kontexte, die bei der Analyse komplizierter Systeme unverzichtbar sind, machen die Einführung neuer Gegenstände und Eigenschaften notwendig, die auch bei zunehmendem Wissen nicht eliminierbar sind (deswegen ist der Vorschlag nicht im engeren Sinne epistemisch). 2. Typische Erklärungsformen in komplexen Systemen (z.B. durch die Angabe kausaler Mechanismen) zeigen aber auch, wie sich diese neuen Gegenstände und Eigenschaften in diejenige Welt einpassen, die von den Theorien beschrieben wird, die zur Analyse der Systemkomponenten ausreichen. Diese Erklärungsformen reichen bei genauerem Hinsehen aus, um reduktionistische Intuitionen zu befriedigen.

Die erklärungspragmatische Theorie der Emergenz macht verständlich, warum man nicht generell erwarten sollte, dass die Beziehungen zwischen verschiedenen Ebenen/ Schichten durch Gesetze im üblichen Sinn geregelt werden. Grundlage für diesen Vorschlag sind das Instrumentarium gegenwärtiger Wissenschaftstheorie (das sich von den in der Philosophie des Geistes verbreiteten Vorstellungen über Reduktion partiell unterscheidet) und eine pluralistische Erklärungskonzeption, die nicht auf das deduktiv-nomologische Modell eingeengt ist. Die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der Forschung in der Biologie, aber auch mit früher vernachlässigten Gebieten der Physik (wie Thermodynamik und statistischer Physik) haben das in den Lehrbüchern de 60er Jahre noch zu findende Bild von Reduktion erheblich differenziert. Die hier vorgeschlagene Theorie der Emergenz passt demnach gut zu prominenten aktuellen Verwendungen von „Emergenz“ in den Natur- und Sozialwissenschaften. Die historische Debatte um den Emergenzbegriff scheint dagegen an verschiedenen Stellen durch den damaligen, mittlerweile überholten Stand der Naturwissenschaften und zuweilen auch durch Missverständnisse des Vorgehens in den Wissenschaften in die Irre geleitet worden zu sein.

Generell ist die wissenschaftsphilosophische Reflexion des Emergenzbegriffs ein Beispiel dafür, wie Philosophinnnen und Philosophen durch ihre begrifflichen Analysen helfen können, eine zutreffende explizite Deutung des Vorgehens in den Naturwissenschaften zu gewinnen und damit die Bedeutung der Ergebnisse von hoch spezialisierter Forschung für andere Bereiche des Wissens und für das Handeln des Menschen richtig einzuschätzen.

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Curriculum Vitae von Professor Dr. Manfred Stöckler

Studium:
  • Bis 1976: Physik, Philosophie (Gießen, Heidelberg). Abschluss: Dipl.Phys.
Promotion:
  • 1981: Philosophische Probleme der relativistischen Quantenmechanik (Gießen)
Habilitation:
  • 1988: Philosophische Probleme der Elementarteilchenphysik (Gießen)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Universität Bremen, FB 9
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Methodologie der Erforschung komplexer Systeme
  • Grundlagenprobleme der Quantentheorie
  • Naturphilosophie (Zeitbegriff, Kosmologie)
Berufliche Stationen:
  • 1979 - 1984: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Philosophie der Universität Gießen
  • 1984 - 1989: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Heidelberg, danach Heisenbergstipendiat
  • 1991 - heute: Professur für Theoretische Philosophie (Schwerpunkt Philosophie der Naturwissenschaften), Universität Bremen
Wichtigste Publikation(en):
  • Philosophische Probleme der relativistischen Quantenmechanik, Berlin 1984
  • Reductionism and the New Theories of Self-Organization, in: G. Schurz, G. Dorn (eds.), Advances in Scientific Philosophy, Amsterdam 1991, S. 233-254
  • On Modeling and Simulations as Instruments for the Study of Complex Systems, in: M. Carrier, G.J. Massey, L. Ruetsche (eds.), Science at Century's End. Pittsburgh 2000, S. 355-373
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