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Professor Dr. Dr. h.c. C.F. Gethmann

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FAQ

Sektionsredner

Dr. Oliver Rauprich (Bochum) - Curriculum Vitae
Prinzipienethik als Modell für die Angewandte Ethik

Abstract

Der Begriff “Prinzipienethik” hat sich als deutschsprachige Bezeichnung für einen Ansatz etabliert, der im angelsächsischen Raum als “principlism” bekannt geworden ist und am prominentesten von Tom L. Beauchamp und James F. Childress seit den 70er Jahren entwickelt und vor allem im Bereich der biomedizinischen Ethik vertreten wird.

Im prinzipienethischen Ansatz konstituieren mehrere Prinzipien den normativen Rahmen für die Behandlung angewandter ethischer Probleme, bei Beauchamp und Childress sind dies Wohltun, Nichtschaden, Respekt vor der Autonomie von Personen und Gerechtigkeit. Solche Prinzipien „mittlerer Ebene“ gelten in Anlehnung an das Konzept der Prima-facie Pflichten von William David Ross nicht absolut, sondern können in konkreten Kontexten hinter einem anderen Prima-facie Prinzip zurückstehen. Zur Anwendung auf einen konkreten Kontext bedürfen sie der begrifflichen Schärfung und inhaltlichen, kontextbezogenen Interpretation und Anreicherung. Von besonderer Bedeutung hierfür ist die Methode der Spezifizierung von Normen nach Henry Richardson. Sukzessive, kontextbezogene Spezifizierungen führen zu einem ganzen Netz konkreter Prima-facie Normen zur Behandlung angewandter ethischer Themen. Verschiedene Normen konfligieren prima facie in einzelnen Kontexten. Einige dieser Normenkollisionen können durch weitergehende Spezifizierungen gelöst werden, indem die Anwendungsbereiche der spezifizierten Normen getrennt und der Konflikt somit gelöst wird. In anderen Fällen muss der Konflikt durch die „Abwägung“ der „moralischen Gewichte“ der konfligierenden Normen im jeweiligen Kontext gelöst werden. Dabei treten zu der intuitiven Urteilskraft allgemeine Regeln der Rationalität wie die Nennung von Gründen, die Suche nach Alternativen, Unparteilichkeit etc. Die Auswahl, Spezifizierung und Anwendung von Prima-facie Prinzipien auf konkrete Kontexte sowie das Lösen von Normenkonflikten bedarf einer systematischen Rechtfertigung, wobei der prinzipienethische Ansatz formal nicht auf eine bestimmte Theorie der Rechtfertigung festgelegt ist – und sich bei Beauchamp und Childress diesbezüglich gewandelt hat.

In dem Vortrag soll – über Beauchamp und Childress hinausgehend – ein prinzipienethischer Ansatz als Modell für die Angewandte Ethik skizziert und vertreten werden. Er wird kontrastiert gegenüber zwei grundsätzlich alternativen Ansätzen:

(1) Das klassische Anwendungsmodell, demzufolge eine allgemeine, z.B. utilitaristische oder deontologische Moraltheorie deduktiv auf einen Kontext „angewendet“ wird, indem die Fakten des Kontextes in die Theorie eingesetzt und die resultierenden Schlussfolgerungen gezogen werden. Modelle dieses Typs leiden regelmäßig an einer inhaltlichen Unterbestimmtheit und normativen Verabsolutierung der leitenden Prinzipien, welche der Komplexität unserer moralischen Auffassungen in konkreten Kontexten nicht gerecht wird.

(2) Das Modell des freien, situationsbezogenen Argumentierens (Freistilmodell), wie es in der Öffentlichkeit, aber auch in vielen wissenschaftlichen Publikationen im Bereich der Angewandten Ethik praktiziert wird. Es kann in situationsethischen und partikularistischen Positionen zur philosophischen Methode erhoben werden. Modelle dieses Typs leiden unter dem Fehlen eines Prinzips oder Systems, welches die situationsspezifischen Urteile organisiert und systematisiert.

Wesentliche Merkmale des hier vertretenen prinzipienethischen Ansatzes sind demgegenüber:

– Die Theorie von Prima-facie Pflichten bzw. -Prinzipien in Anlehnung an Ross, welche der Struktur und Komplexität moralischen Urteilens im Alltag entspricht und ethische Konflikte klar herausarbeiten lässt.

– Verschiedene heuristische Instrumente zur kontextspezifischen Strukturierung der ethischen Analyse, z.B. Leitfäden einer Fallanalyse im medizinethischen Bereich.

– Die Methode der Spezifizierung von Normen (Verengung des Anwendungsbereiches, Hinzufügung von Geltungsbedingungen) zur transparenten Verknüpfung kontextspezifischer Urteile und Normen mit allgemeineren moralischen Prinzipien.

– Eine Kohärenztheorie der Rechtfertigung moralischer Urteile

– Die Rolle allgemeiner Moraltheorien als Hintergrundtheorien, aus denen keine Angewandte Ethik abgeleitet werden kann, die jedoch wichtige moralphilosophische Rahmenbedingungen und Grenzen für die Angewandte Ethik setzen.

Limitierungen des prinzipienethischen Ansatzes ergeben sich hinsichtlich der begrenzten Fähigkeit zur kontextübergreifenden Synthese und Vereinheitlichung verschiedener Bereiche der Angewandten Ethik. Verschiedene Bereichsethiken können voneinander profitieren, sie müssen jedoch als Spezialdisziplinen individuell entwickelt und aufgebaut werden. Zudem hat der Ansatz ein begrenztes Problemlösungspotenzial. Viele moralische Dilemmata und Dissense werden sich auch im Rahmen einer Prinzipienethik in absehbarer Zeit nicht lösen lassen. Dies von einer Angewandten Ethik zu erwarten, wäre allerdings vermessen.

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Curriculum Vitae von Dr. Oliver Rauprich

Studium:
  • Bis 2001: Philosophie, Biologie (München, Chicago). Abschluss: Dr. phil.
Promotion:
  • 2001: Natur und Norm. Eine Auseinandersetzung mit der Evolutionären Ethik (LMU München)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • Ruhr-Universität Bochum
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Medizinische Ethik
  • Theorien politischer Gerechtigkeit
  • Evolutionäre Ethik
Berufliche Stationen:
  • 2002 - 2006: Wissenschaftlicher Assistent
  • 2006 - dato: Nachwuchsgruppenleiter
Wichtigste Publikation(en):
  • Rauprich O (2004): Natur und Norm. Eine Auseinandersetzung mit der Evolutionären Ethik. Münster (Lit), 266 S.
  • Rauprich O, Steger F (Hg.) (2005): Prinzipienethik in der Biomedizin. Moralphiloso-phie und medizinische Praxis. Frankfurt, New York (Campus), 487 S.
  • Rauprich O: Common Morality – Comment on Beauchamp and Childress. Theoretical Medicine and Bioethics, zur Publikation angenommen, erscheint 2008.
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