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FAQ

Sektionsredner

Andreas Kaminski, M.A. (Darmstadt) - Curriculum Vitae
Technisierung / Habitualisierung – ein ungeklärt enges Verhältnis

Abstract

Der Beitrag geht dem Verhältnis von Technik und Gewohnheit nach. Er stellt die Frage, welche Bedeutung die Vertrautheit mit Technik für ihr Funktionieren hat. Das geschieht in vier Schritten.

[1. Ein Literatubefund:] Am Anfang steht ein Literaturbefund. Technik wie auch Vertrautheit oder Gewohnheit werden relativ unabhängig voneinander mit identischen Attributen beschrieben. Beide werden bestimmt als entlastend, sie setzen Aufmerksamkeit für anderes frei, man muss sich nicht mit ihnen beschäftigen. Darin deutet sich auch die schärfere zweite Bestimmung an: Sie werden als verarmend oder abstumpfend gedeutet: Sinnbezüge bzw. sinnlicher Reichtum würden von ihnen absorbiert. Das allerdings geschieht - drittens - unmerklich. Technik und Gewohnheit fungieren, solange sie fungieren, unmerklich, gewissermaßen „verborgen“. Solange wir schreiben, nehmen wir weder den Stift noch unsere Gewohnheit ihn zu halten und zu führen wahr. Weil sie so sehr in die Handlungsvollzüge eingehen, werden sie auch - viertens - als zweite Natur aufgefasst.

[2. Die klassische Phänomenologie] In der klassischen Phänomenologie - bei Heidegger, Husserl, Merleau-Ponty und auch noch bei Hans Blumenberg - werden dann Gewohnheit, Selbstverständlichkeit und Technik in ein ausdrückliches und enges Verhältnis zueinander gesetzt. Bei Husserl - so der pointierte Kommentar von Blumenberg - erweist sich Technik als Lebenswelt par excellence, „indem jene Sphäre, in der wir noch keine Fragen stellen, identisch wird mit derjenigen, in der wir keine Fragen mehr stellen“. Heideggers Terminus Zuhandenheit hat seine sachliche Motivation in jenem anderen Modus, welche in Folge der Habitualisierung eintritt. Technik begegnet in der Praxis in Unauffälligkeit, sie ist das schlechthin Selbstverständliche und Gewohnte. Sie wird erst dann „auffällig“, „aufdringlich“, „aufsässig“, wie es in Heideggers klassischer Trias heißt, wenn diese Selbstverständlichkeit durch Pannen, Störungen usw. durchbrochen wird. Für Blumenberg gilt daher: „Natur wird eher zum Störfaktor durch Ungewöhnlichkeit als die auf Schaffung von Vertrautheitsmomenten angelegten Technizitäten.“ („Lebenszeit und Weltzeit“) Merleau-Ponty schließlich deutet in seiner „Phänomenologie der Wahrnehmung“ habitualisierte Technik als Verkörperung.

[3. Technikgestaltung] An diesem engen Verhältnis von Gewohnheit, Vertrautheit, Selbstverständlichkeit setzen schließlich die technikgestalterische Versuche an. Habitualisierung wird zu einer Art Gelingenskriterium der Technikgestaltung. Wenn Technik, die funktioniert, sich in die Gewohnheiten integriert und so nicht mehr als Technik erscheint, dann scheint darin eben auch ein schwaches Kriterium dafür zu liegen, ob sie funktioniert: Eine Art „Gestaltungsrichtlinie“, wie beispielsweise Terry Winograd und Fernando Flores ausführen. Auch das Gründungsdokument des Ubiquitous Computing von Marc Weiser sieht hierin das entscheidende Kriterium für gelingende Technisierung.

[4. Welche Art von Verhältnis?] Betrachtet man dieses eindrucksvolle Panaroma an Befunden, dann fällt allerdings auf, dass wenig über die Gründe dieser Parallelität von Gewohnheit und Technik mitgeteilt wird. Ist Gewohnheit selbst eine Art Technik? Oder wird der Technikgebrauch zu einer Gewohnheit? In meinem Vortrag möchte ich zwei andere Vorschläge unterbreiten. Ich vermute, dass alltägliche Technik aufgrund ihrer Trivialisierungsleistung (wenn - dann) leicht routinisierbar, habitualisierbar ist. Mit anderen Worten: Technik ist nicht eine Gewohnheit, das wäre zu pauschal und aphoristisch aufgefasst. Aber alltägliche Techniken haben eine Disposition zu habitualisieren. Sie sind passbar zur Vertrautheitsbildung. Es genügt jedoch nicht, Technik als Habitualisierungsdisposition aufzufassen. Das ist die zweite und entscheidende These: Der Zusammenhang von Vertrautheit und Technik ist enger. Das zeigt sich insbesondere - anders als es Heidegger mit großem Einfluss auf die nachfolgenden Techniktheorien behauptet - wenn Technik nicht richtig funktioniert. Vertrautheit mit der individuellen, eigentlich kaputten Sache, kann Technik am „Funktionieren“ halten: Durch die individuelle Vertrautheit mit einem individuellen Artefakt können dessen Macken, Störungen, kleine Defekte wegroutinisiert werden. Von der Tür, welche sich nur öffnen lässt, indem sie auf bestimmte Weise angehoben wird, über den PKW, welche im untertourigen Bereich eine sensible Handhabung der Kopplung erfordert, bis zum Drücken an den richtigen Stellen einer „für andere“ defekten Tastatur, ist es die Vertrautheit mit der individuellen Technik, welche sie am Funktionieren hält. Und zwar so gut, dass für den Nutzer der Spezialgebrauch (Tür anheben um zu öffnen) zu einer Art zweiten Normalgebrauch wird. Vertrautheit stellt daher, wie erwiesen werden soll, einen viel grundlegenderen Modus für Technik bereit, als vermutet wird. Sie ist nicht lediglich das, worin sich Technik abspielt, sondern das, was sie am Funktionieren hält oder halten kann.

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Curriculum Vitae von Andreas Kaminski, M.A.

Studium:
  • Philosophie, Germanistik, Soziologie, Geschichte (TU Darmstadt, FU Berlin). Abschluss: M.A.
Promotion:
  • 2008: Technik als Erwartung. Formen des Erwartens als Perspektive einer allgemeinen Techniktheorie (TU Darmstadt)
Derzeitige Universität oder Institution:
  • TU Darmstadt
Forschungsschwerpunkt(e):
  • Technikphilosophie
  • Phänomenologie
  • Systemtheorie
Wichtigste Publikation(en):
  • Technik als Erwartung. Formen des Erwartens als Perspektive einer allgemeinen Techniktheorie. Dissertation Darmstadt 2007.
  • A. Kaminski zusammen mit R. Heil, M. Stippak, A. Unger, M. Ziegler (Hrsg.): Tensions and Convergences. Technological and Aesthetic Transformations of Society. Bielefeld transcript 2007.
  • Gastherausgeber: Schwerpunkt Systemtheorie, Phänomenologie, Zeittheorie. In: Journal Phänomenologie 24/2005.
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